Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Zur Buchmesse in Frankfurt - Papier und andere Lesensmittel - Leitartikel von Jens Dirksen
Essen (ots)
Kaum jemand hat Johann Wolfgang von Goethe so sehr geärgert wie sein Schwager Christian August Vulpius. Der war so etwas wie der Dan Brown der Klassik - um seinen Räuberroman "Rinaldo Rinaldini" rissen sich die Leser. Goethes "West-östlicher Divan" hingegen verkaufte sich so schlecht, dass die Erstausgabe noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts bei den Buchhändlern vor sich hin staubte. So gelesen klingt Hölderlins berühmter Vers nach einem Hauch von Ironie: "Was bleibet aber, stiften die Dichter."
Das Nebeneinander von schnell verkauften Bestsellern und Bleibendem, von Werten und Wertschöpfung ist so alt wie die Erfindung des Johannes Gutenberg. Und doch ist manches anders als sonst auf diesem 61. Oktoberfest der Buchbranche in Frankfurt. Da ist mit China ein Gastland vertreten, das mit seinem unerschlossenen Buchmarkt und seiner Zensurpolitik Zündstoff liefert, für Geschäfte und Gespräche. Und da wartet ein Gastgeberland, das nach der Nobelpreis-Entscheidung für Herta Müller wieder etwas freimütiger mit dem "Dichter und Denker"-Etikett hantiert - trotz der konstant mittelprächtigen Pisa-Noten, trotz der rückläufigen Lesequoten.
Ja, es ist wahr, die Deutschen geben immer weniger Geld für Bücher aus, und inzwischen geht sogar der Umsatz an Kochbüchern zurück. Selbst auf der Buchmesse sind Comics, Kino und Computer auf dem Vormarsch. Bleibet aber das Buch? Oder wird es bald abgelöst vom E-Book? Wer weiß: Vielleicht ist schon bald das E-Paper so weit, dass man es rollen und falten und mit Romanen speisen kann. Vielleicht werden auch die Smart-Phones irgendwann zu Buch-Lesegeräten.
Mit welchem Lesensmittel Bücher zur Kenntnis genommen werden, ist am Ende aber gleichgültig. Mit dem gedruckten Buch begann das Zeitalter der Massenkommunikation, und es brachte erst das ins Lesen versunkene Individuum hervor und dann die Meinungsfreiheit. Dabei wird es bleiben. Im übrigen können wir getrost darauf bauen, dass sich auf die Dauer jenes Buch-Medium durchsetzen wird, das seine Leser am besten zufriedenstellt.
Die Freiheit des Wortes muss gewahrt bleiben, aber auch die Freiheit des Zugangs zu Büchern. Eine Frage der Politik - nicht nur in China, sondern auch hier zu Lande. Jede Bücherei, die von einer Stadt aus Geldnot geschlossen wird, ist ein Stück Werteverfall, das irgendwann auch auf die Wertschöpfung durchschlagen wird.
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