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WAZ: Eine Frage unserer Haltung. Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Mitte der 50er-Jahre ist Deutschland in die Atomkraft eingestiegen, knapp 70 Jahre später wird Schluss sein. Die CDU, SPD und die Gewerkschaften waren zu Beginn euphorisch-fortschrittsversessen dafür. Die CDU, die SPD und die Gewerkschaften sind am Ende euphorisch-fortschrittsversessen dagegen. Die kurze Geschichte der Atomkraft hält also eine Botschaft bereit. So wie eine breite gesellschaftliche Mehrheit einmal mit guten Gründen für die Atomkraft sein konnte, kann zu einem späteren Zeitpunkt eine breite gesellschaftliche Mehrheit mit guten Gründen dagegen sein. Die Schlussfolgerung daraus ist eher demütig: Man hüte sich vor absoluten Wahrheiten. Wer weiß schon, was noch passiert, wer kann ahnen, wohin der Zeitgeist driftet? Grün wird er nicht ewig bleiben.

So richtig uns dieser Ausstieg erscheint, wirft er aber auch ein paar Fragen auf. Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Das ist eines der größten Probleme dieser Entscheidung: Der Atom-Ausstieg inklusive folgerichtiger Energiewende ist ein Experiment. Experimente können gelingen. Experimente können scheitern. Ein Optimist wird ans Gelingen glauben, aber wissen kann er es nicht. Da es sich nicht um irgendein Experiment handelt, sondern um das vielleicht größte in der deutschen Nachkriegsgeschichte, winkt ein großer Sieg. Oder eine große Niederlage.

Es gibt auch ein Verantwortungsdilemma. Man wird die Sieger kaum mehr feiern, die Verlierer kaum bestrafen können. Andere werden regieren. Falls es 2022 noch Talkshows gibt, werden sie fragen, was damals, 2011, richtig war und was falsch. Dass alles richtig gemacht wurde, wird wohl kaum das Fazit solcher Sendungen sein können. Andererseits besteht Politik manchmal nicht aus Klein-Klein. Manchmal stößt das von einem unserer wichtigsten Demokratie-Philosophen, Karl Popper, erdachte Prinzip von Versuch und Irrtum an seine Grenzen. Die Wiederbewaffnung, die Wiedervereinigung, der Wiederausstieg entzogen und entziehen sich Versuch und Irrtum. Es waren politische Weichenstellungen, denen eins gemeinsam war: Vom Umtausch ausgeschlossen.

Fazit: Wenn das aber so ist, dann haben wir jetzt tatsächlich nur eine Wahl: Augen auf und durch. Skeptisch bleiben, vor allem gegenüber Propheten. Euphorie ist ein schlechter Ratgeber. Und bei jeder Einzelentscheidung genau darauf achten, ob die Kosten, nicht nur die finanziellen, im angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen.

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