Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Wenn der Zeitgeist fastet. Kommentar von Jens Dirksen
Essen (ots)
Das Fasten war in der christlichen Tradition nie das Ziel, sondern immer der Weg. Er sollte zur Erleuchtung führen. Wer auch immer am Aschermittwoch seine persönliche Fastenzeit begonnen hat, wird bislang noch nicht viel davon verspüren. Fasten ist ja längst von der religiösen Pflichtübung zum beinahe lustvoll betriebenen Breitensport geworden, hinter dem ein gewisses Bedürfnis der Reinigung, ja der Läuterung steht, an Körper wie Seele gleichermaßen. Aber nicht nur die stetig zunehmende Zahl von Vegetariern fragt sich heutzutage: Wie könnte ich denn auch mal fasten? Auch die Protestanten, die Luther einst von der Fastenpflicht befreite, wollen nicht länger abseits stehen; seit Jahren geben sie sich unter dem Motto "Sieben Wochen ohne" dem Verzicht hin - und in diesem Jahr soll es "ohne falschen Ehrgeiz" gehen. Man möchte eigentlich glauben, dass dies für die meisten Protestanten keinen großen Verzicht bedeutet. Denn beim klassischen Fasten wird ja nach 40 Tagen weitergemacht wie vorher. Aber vielleicht hofft man ja auf die Einsicht, dass es auch ohne falschen Ehrgeiz geht. Das Problem wird nur darin liegen, den falschen vom richtigen Ehrgeiz zu unterscheiden. Wer das tun will, muss die Erleuchtung eigentlich längst gehabt haben.
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