Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Der Präsident, die Arbeitslosigkeit und die Parteien: Zu hoch gegriffen - Leitartikel von Uwe Knüpfer
Essen (ots)
Horst Köhler tut, was er zu tun angekündigt hat, nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten. Er mischt sich ein und weist den Weg. Aber wie? Den Weg gewiesen haben andere vor ihm auch. Man denke an Johannes Raus Worte zur Bio- und Gentechnologie. Doch Köhler geht weiter. Selten hat ein Staatsoberhaupt so hoch gegriffen und sich zugleich so tief in die Niederungen des politischen Alltags begeben wie er mit seiner Rede vom Dienstag. Zudem war Köhler nicht gut beraten, diese Rede vor einem parteiischen Publikum zu halten - das fast nur aus Arbeitgebervertretern bestand. Köhler versteht sich als Coach der nationalen Politik. Er streift lieber den Trainingsanzug über als den Frack. Das entspricht seinem Naturell und wirkt sympathisch. Doch kein Trainer tut gut daran, die Latte so hoch zu legen, dass sie gerissen werden muss. Regierung und Opposition, sagte Köhler, stünden nun in patriotischer Verantwortung. Das klingt schwülstig - und ist es auch. Nach dem Job-Gipfel sollen wir demgemäß sehen, ob Regierung und Opposition ihrer Verantwortung gerecht werden. Falls nicht, was dann? Köhler verlangt zu viel von Politikern, die an Wahlen denken (müssen). Politikern und Parteien vorzuwerfen, dass sie tun, was die Regeln der Demokratie von ihnen verlangen, zeugt von romantischem Denken. Er kenne keine Parteien mehr, hat Wilhelm II. gesagt - der Kaiser wünschte sich jubelnde Krieger. Nach jenem Krieg taten sich die Deutschen noch lange schwer damit zu begreifen, dass Parteienstreit und Gezänk zur Demokratie gehören wie Rauch zum Feuer. Und dass Demokratie zwar nicht schön aussieht, dem Strammstehen eines gleichgeschalteten Volkskörpers aber allemal vorzuziehen ist. Ja, wir brauchen Vorfahrt für Arbeit und eine Föderalismusreform. Doch den Weg dorthin ertasten müssen jene, die gewählt wurden, um zu regieren. Wenn sie es nicht können, werden sie abgewählt. So einfach, so unromantisch ist Demokratie.
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