Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Die große Koalition und die Polit-Kultur: Über die neue Schlachtordnung - Leitartikel von Ulrich Reitz
Essen (ots)
Große Koalition große Wende: Eine neue Polit-Kultur entsteht. Nicht nur, weil demnächst nicht mehr selbst ernannte letzte Rock 'n' Roller (J. Fischer) Politik darstellen, sondern insgesamt uneitlere Pragmatiker sich schweißtreibend an der deutschen Krise abarbeiten. Was folgt daraus, wenn die beiden Volksparteien umschalten von Konfrontation auf Konsens?
Erstens: Mit der Politik verändert sich auch deren Wahrnehmung. Die künstliche Aufregung, die Inszenierung von Duell-Situationen zwischen den Stars der Großen sie fällt weg. SPD und Union wissen das, ziehen schon Konsequenzen beim Personal. Merkel und Müntefering wollen als Generalsekretäre keine Krawalleros, sondern mit Pofalla und Wasserhövel Dolmetscher zwischen Regierung und Regierungspartei. Was mal Show war, riecht künftig nach Arbeit.
Zweitens: Die Front zwischen SPD und Union ist keine Gerade mehr, sondern eine Schlangenlinie. So wird sich Merkel ziemlich sicher eher auf den Kanzleramts-erfahrenen Steinmeier und den reformoffenen Steinbrück stützen können als auf ihren reflexhaften Dauerrivalen Stoiber oder ins Kabinett entsendete Emissäre ihrer ambitionierten Neider (Koch). Führende SPD-Leute haben längst entschieden, Merkel zu stützen, wo es nur geht, schon um sich die Kanzlerin als nächste Kanzlerkandidatin zu erhalten. Eine Bauch-Kopf-Konstellation aus Schwiegermutter-Liebling Wulff und Scharfdenker Merz gilt ihnen als größere Gefahr. Mithin: Neue Allianzen jenseits der üblichen Schlachtordnung entstehen. Und der Bürger muss um Durchblick kämpfen.
Drittens: Wie in Berlin regiert wird, strahlt aus auf Düsseldorf. Beispiel: Wegen einer Sparmaßnahme der Regierung will SPD-Kraft auf CDU-Linssen einprügeln. Der kontert: Habe ich doch in Berlin schon mit eurem Steinbrück vereinbart. SPD und Union wird die Profilierung zu Lasten des jeweils anderen erschwert. Mit der Zeit dürfte ihre Nähe wachsen. Da die SPD sich ohnehin von den Grünen geradezu befreit fühlt und der Abstand zwischen SPD und den Liberalen einstweilen groß bleibt, fängt es an, im größten Bundesland nach großer Koalition zu riechen. Zumal die CDU (und Rüttgers ohnehin) sich in der Tradition des ersten Regierungschefs Arnold (Wir sind das soziale Gewissen Deutschlands) mehr als soziale denn liberale Partei versteht. Unabhängig von Sachfragen gilt bald: große Koalition große Bewegung.
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