Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Das große Fressen - Kommentar von Ulf Meinke
Essen (ots)
Pessimisten diagnostizieren im Stile eines Mediziners gefährliches Fusionsfieber. Optimisten aus Politik und Wirtschaft rufen derweil euphorisch das Ende der Bescheidenheit aus. Der Realist spricht schlicht von einer Einkaufstour auf hohem Niveau. Jedenfalls bietet die milliardenschwere Übernahmeschlacht um die Pharmariesen Merck und Schering nur das jüngste Beispiel eines Trends: In Deutschlands Wirtschaft quer durch die Branchen jagt ein Fusionsplan den nächsten. Die großen Einkäufer heißen Eon, Thyssen-Krupp, Linde oder Adidas. Und ganz gleich, ob die Konzerne mit Strom oder Stahl, Industriegasen oder Sportschuhen handeln sie wollen Milliarden ausgeben, um im weltweiten Wettstreit um Markanteile und Kapitalmacht mitzuhalten oder gar aufzutrumpfen.
Verrückte Wirtschaftswelt? Während sich viele deutsche Verbraucher in Zurückhaltung üben, gehen die heimischen Konzerne auf Einkaufstour. Während der Finanzminister seine Haushaltslöcher stopft, wissen manche Unternehmen nicht, wo sie zuerst ihr Geld ausgeben sollen. Während fünf Millionen Menschen in Deutschland keine Arbeit haben, konzentrieren sich immer mehr Konzerne auf ihr Auslandsgeschäft. Und die Börse profitiert einmal mehr von den Übernahme-Fantasien.
Ja, viele Unternehmen haben in den vergangenen Jahren konsequent Kosten eingespart, ordentliche Gewinne erwirtschaftet und schalten nun sozusagen von Abwehr auf Angriff. Vielen Firmen ist Deutschland zu klein geworden zuweilen aus kartellrechtlichen Gründen oder weil der Markt für ihre Produkte gesättigt ist. Zahlreiche deutsche Konzerne beschäftigen deshalb im Ausland mittlerweile mehr Menschen als daheim. Diese Entwicklung so viel scheint sicher wird sich mit den anstehenden Großfusionen fortsetzen.
Wer den Vorstandschefs nun vorwerfen will, dass sie im Inland Stellen streichen und zugleich im Ausland expandieren, der macht es sich oft zu einfach. Man mag es bedauern, aber moralische Kategorien geraten im globalen Wettstreit der Konzerne an ihre Grenzen. Sie gehören nicht zur Logik des Marktes. Die Alternative lautet schlicht: Wer nicht handelt, wird behandelt. Wer nicht groß genug ist, wird klein gemacht. Fressen oder gefressen werden.
Das Streben nach Größe ist also ein verständlicher Reflex und es ist dann eine gelungene Strategie, wenn mit mehr Umsatz auch mehr Gewinn entsteht. Denn natürlich ist schiere Größe kein Selbstzweck. Unternehmerische Zwangsehen sind zum Scheitern verurteilt. Eines aber ist auch klar: Es wäre die falsche Entscheidung, das erwirtschaftete Geld in den Firmenkassen tatenlos einzulagern. Und von einer gelungenen Fusion profitieren langfristig auch die Beschäftigten: Ihre Arbeitsplätze werden sicherer, wenn der eigene Arbeitgeber und nicht die Konkurrenz besonders wettbewerbsfähig ist.
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