Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Jeder kämpft gegen jeden - Kommentar von Stefan Schulte
Essen (ots)
Wenn ein Gerangel so unüberschaubar wird, wie das um die Gesundheitsreform, schalten die Menschen ab. Über so absonderliche Dinge wie Fonds, Zusatzbeitrag oder gar Risikostrukturausgleich reden nur Menschen, die das müssen. Doch dass die Lage so verfahren ist, liegt nicht nur am missratenen Kompromiss. Es liegt auch daran, dass derzeit jeder gegen jeden kämpft: Union gegen SPD, CDU gegen CSU, Süd- gegen Nordländer, Bayern gegen Berlin.
Union und SPD kämpfen um die Deutungshoheit der schwammigen Eckpunkte. Jeder Änderungswunsch ruft zwei Änderungswünsche der anderen Seite an anderer Stelle hervor. Gleichzeitig kämpfen Politiker beider Seiten gegen Ulla Schmidt. Die Union reklamiert mit einigem Recht, dass die Privatkassen mehr bluten sollen als vereinbart. In der SPD wollen einige den verhassten Gesundheitsfonds schnellstmöglich beerdigen, Schmidt will ihn aufpäppeln.
Wenn sich CDU und CSU auf Schmidt einschießen, wollen sie davon ablenken, dass sich der tiefste Graben derzeit mitten durch die Union zieht. Das Unglück der Kanzlerin ist, dass in Bayern, Niedersachsen und Hessen 2008 gewählt, dann, wenn die Leute das ganze Ausmaß der Reform im Portmonee spüren würden. Da sie dies zu ahnen beginnen, torpedieren Stoiber und Wulff, was sie selbst beschlossen haben.
Auch inhaltlich meint Stoiber die Union, wenn er sich dagegen wehrt, dass jede Kasse eine Pauschale je Versichertem bekommen soll. Das würde den reichen Bayern-Kassen schaden. Stoiber beschimpft dafür Schmidt, meint aber Merkel. Denn die Sache mit der Pauschale stammt von der Union. Schließlich kämpfen reiche Länder gegen arme. Dass Kassen mit vielen Kranken begünstigt werden sollen, würde Baden-Württemberg schaden und Mecklenburg-Vorpommern nützen. Nord gegen Süd, Arm gegen Reich - der alte Föderalismus-Streit.
Wenn nun die Kanzlerin einer Großen Koalition auf den Vermittlungsausschuss setzt, ist das so bezeichnend wie absurd. Schwarz-Rot hat satte Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat. Warum sollten sie sich in der offiziellen Schlichtungsstelle besser einigen können als am Kamin? Die Lage ist derart verfranst, dass Merkel nicht umhin kommen wird, ein Machtwort zu sprechen. Das muss kein Wir-ziehen-das-jetzt-durch sein. Auch ein Nochmal-von-vorn wäre ein Machtwort. Eines, das viele Menschen ihr hoch anrechnen würden. Denn die Bürger haben den Parteistrategen eines voraus: Sie vermögen eine eingestandene Schwäche als Stärke zu erkennen.
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