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WAZ: DGB fordert Mindestlohn: Wie viel Tarifautonomie darf's denn sein? - Leitartikel von Wilhelm Klümper

Essen (ots)

Die Löhne und Gehälter müssen spürbar steigen."
Diese Forderung des DGB zum 1. Mai versteht sich von selbst. Wenn 
Teile der deutschen Wirtschaft brummen, dann ist es klar und in 
Ordnung, dass die Gewerkschaften einen kräftigen Schluck aus der 
Pulle wollen. Dabei ist es - wie jetzt in der Metallindustrie - aus 
gutem Grund alleinige Sache der Tarifparteien, ob nur an der Pulle 
genippt oder diese auf ex hinuntergestürzt wird.
Irritierend ist dagegen die 1. Mai-Forderung des DGB nach einem 
staatlich festgelegten Mindestlohn nicht unter 7,50 Euro. Damit 
stellt der DGB den von seinen Einzelgewerkschaften teilweise 
abgeschlossenen Lohnabschlüssen ein Armutszeugnis aus. So hat Verdi 
rund 60 Tarifverträgen zugestimmt - beispielsweise in Sachsen-Anhalt 
als unterstem Friseurtarif dürre 3,05 Euro - die weit unter dem jetzt
geforderten Mindestlohn von 7,50 Euro liegen.
Die Gewerkschaften agieren an dieser Stelle doppelzüngig. So soll
sich der Staat einerseits tunlichst aus den Tarifverhandlungen 
zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaftern heraushalten. Andererseits 
wird mit der Forderung nach einem Mindestlohn der Staat aufgefordert,
die von den Gewerkschaften ausgehandelten Dumpinglöhne auszuhebeln. 
Wie hätten wir's denn gerne? Nur ein bisschen Tarifautonomie geht 
nicht. Oder ist die Mindestlohn-Forderung nur ein Vehikel, das 
zuletzt arg angespannte Verhältnis des DGB zur SPD wieder zu 
verbessern?
Klarer kommt die Forderung des DGB nach "guter Arbeit" daher. 
Diese soll nicht krank machen und Rücksicht auf Familien und 
Mitbestimmung am Arbeitsplatz nehmen. Das wird jeder Arbeitgeber 
blind unterschreiben, der mit motivierten Mitarbeitern am Markt 
bestehen will. Auch die DGB-Forderung nach sicheren Arbeitsplätzen 
spricht den Beschäftigten aus tiefster Seele. Allerdings sieht die 
Wirklichkeit in einer globalisierten Welt anders aus. Kein 
Arbeitnehmer kann heute mit Sicherheit
 sagen, dass er seinen heutigen Job auch noch in zehn Jahren hat. Die
lebenslange Beschäftigung nach der Ausbildung
 möglichst noch bei einem Arbeitgeber ist Auslaufmodell.
Die DGB-Funktionäre wissen sicherlich, dass jeder Fortschritt 
auch die Zerstörung alter Arbeitsformen bedeutet. Zukünftig sind 
lebenslanges Lernen und Jobwechsel angesagt. Und neben der Sicherheit
ist ja auch die Lust auf Veränderung, auf das Neue überaus menschlich
und daher durchaus menschenwürdig.

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Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de

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