Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Nach dem deutschen Gipfel: Merkel, das Klima, Afrika - Leitartikel von Ulrich Reitz, Jürgen Polzin und Hendrik Groth
Essen (ots)
Die Frage, ob ein Mann diesen Gipfel-Erfolg hätte schaffen können, grenzt an Kaffeesatzleserei. Klar ist aber, dass jene ganz besondere, große Leistung dieses Mal eben eine Staatsfrau und kein Staatsmann zu Wege gebracht hat.
Männer machen Geschichte, das war einmal. Die Gipfel-Bilder sprechen eine ganz eigene Sprache: In dieser Welt aus lauter Misstrauen hat Angela Merkel das, was Amerikaner "Credibility" nennen; sie ist jemand, dem man Geld leihen kann. Auf dem diplomatischen Parkett ist das letzten Endes die entscheidende Größe.
Angela Merkel ist nicht kühl, sondern cool. Sie verbindet Verbindlichkeit mit Hartnäckigkeit. Sie kann meisterhaft zocken und dabei dennoch glaubwürdig agieren. Sie verschafft ihrem Wort Gewicht. Wer die Geschichte großer internationaler Entscheidungen studiert, weiß, dass am Ende die Chemie, das Persönliche, mindestens ebenso sehr zählt wie nationale Interessen.
Politik ist die Kunst des Möglichen. Das passt zu Merkels Persönlichkeit. Sie ist keine verträumte Romantikerin, sondern eine charmante Vollstreckerin. Offenbar ist das die richtige Mischung im Umgang mit Alphamännern. Bei aller Kritik im Detail: Angela Merkel hat Deutschland alle Ehre gemacht.
Welcome back, Mr. Bush Ein Durchbruch sind die Beschlüsse zum Klimaschutz. Die USA sind nach sechs Jahren wieder ins Boot der Willigen gestiegen. Und die G-8-Staaten, die zusammen für 43 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind, bekennen sich einmütig zu ihrer Führungsrolle im Kampf gegen die globale Erwärmung. Im März 2001 war das Kyoto-Protokoll tot, seit Juni 2007 stehen die Chancen auf ein Nachfolgeabkommen so gut wie nie. Seeluft tut gut.
Die Nullaussage im Abschlussdokument, die G8 werden eine CO2-Reduzierung "ernsthaft in Erwägung ziehen", ist bedauerlich, wird aber überschätzt. Viel wichtiger ist der Schuldschein, den US-Präsident George W. Bush in Heiligendamm unterzeichnet hat: Bush erkennt die Ergebnisse des IPCC-Klimareports an (noch vor kurzem wurde eine Prämie für Wissenschaftler ausgesetzt, die Klimaforscher widerlegen); Bush ist bereit, Klimaschutz unter dem Dach der ungeliebten UN zu verhandeln.
Die Musik spielt nun in Bali, wo auf dem nächsten UN-Klimagipfel im Dezember mit den USA und den Schwellenländern endlich ein fairer, globaler Pakt geschmiedet werden soll. Ein Gipfel auch mit innenpolitischer Bedeutung: Schreibt Umweltminister Sigmar Gabriel im Rampenlicht der Weltpolitik fort, was Kanzlerin Merkel initiierte, hat Deutschland einen Kanzlerkandidaten und Kurt Beck ein Problem.
Hilfe mit Schönheitsfehlern Es klingt schon prima, wenn nicht sogar sehr großzügig. 60 Milliarden US-Dollar, um Aids, Malaria und Tuberkulose in Afrika zu bekämpfen. Der Schönheitsfehler daran: Das Geld reicht nicht. Auf fünf Jahre gestreckt, sind das zwölf Milliarden Dollar. Die UN rechnen hingegen vor, dass mindestens 23 Milliarden gebraucht werden. Die Realität zeigt auch, dass bei der Bereitstellung billiger Medikamente die Pharmaindustrie mauert und dass die industrialisierte Welt Ärzte und Krankenschwestern massiv aus Afrika abwirbt. Das ist nicht wirklich ermutigend.
Der größte Schritt wäre ein Signal an die Welthandelsrunde gewesen. Solange dort keine Fortschritte erzielt werden, bleibt die Entwicklungshilfe ein Almosen. Solange die EU und die USA mit ihren hochsubventionierten Agrarprodukten die Märkte in Afrika zerstören, ist keine Besserung im Kampf gegen die Armut in Sicht. Insgesamt steckt der Norden 350 Milliarden Dollar in Subventionen und blockiert in der gleichen Zeit landwirtschaftlichen Waren aus Afrika den Zugang nach Europa und Amerika. Zahlen relativieren sich manchmal sehr schnell.
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