BLOGPOST People over Profit!
Seit Wochen dominieren die Nachrichten zum Coronavirus und dessen Auswirkungen die Medien. Doch wann immer ein Ausblick auf die Zeit nach dem Virus gegeben wird oder die Chancen der Pandemie beschrieben werden, schwingt die Hoffnung auf einen verantwortungsvolleren Umgang mit menschlichen und natürlichen Ressourcen mit. Mehr noch: Fast täglich erreichen uns Nachrichten von Unternehmen, die in der Krise 'People over Profit' stellen, klare Haltung beziehen und die unternehmerischen Ziele in den Hintergrund stellen. Es hat also ein Umdenken eingesetzt, die Wirtschaft scheint 'woke' - erwacht.
Von Ulrich Köhler
Als wir im Februar 2020 die neueste Ausgabe des Werte-Index veröffentlichten, einer Langzeit- Studie, in der wir seit 2009 den Wertewandel der deutschsprachigen Gesellschaft dokumentieren, haben wir noch nicht ahnen können, wie aktuell die zunehmende Politisierung der Wertediskussion und ihrer Anwendung in der Wirtschaft werden würde: Ob LVMH Handdesinfektion statt Parfum produziert, Facebook seinen Mitarbeitern einen Home-Office-Bonus auszahlt oder McDonald's Deutschland seine Mitarbeiter zum Aushelfen zu Aldi schickt - Unternehmen übertrumpfen sich in sozial verantwortungsvollem Handeln und der geschickten Kommunikation darüber.
Doch während Zyniker solches Gebaren gerne als kurzfristige PR-Maßnahme abtun, weist vieles darauf hin, dass die gegenwärtige Coronavirus- Krise einem neuen wirtschaftlichen Handeln die Bahn bricht, das schon lange vorher gestartet ist. 2019 war dominiert von der Fridays-for-Future- Bewegung und der Diskussion zum Klimawandel: einem Problem ähnlichen globalen Ausmaßes, das aber ungleich langsamer als ein Virus die Welt verändert. Der Werte-Index zeigte gerade in der individuellen Diskussion zu Klimafragen, dass es nicht mehr wie in den Jahren zuvor um die uns Deutschen so vertraute Idealisierung schöner Natur geht, sondern um politische Auseinandersetzung, der Diskussion um individuelle Freiheit und schließlich einem handfesten Generationenkonflikt über das, was Gerechtigkeit über Generationen hinweg eigentlich darstellt. Kondensiert wurden diese Diskussionen im vergangenen Jahr als Internet-Meme "OK Boomer", das stellvertretend für das Abwinken der Generation Z gegenüber veralteten Rollenbildern und schwammigen Ausflüchten der Boomer-Generation steht. Bezeichnenderweise erhielten einzelne Mitarbeitende an der Ausgabe Wut-E-Mails empörter Senioren, die den dokumentierten Wertewandel samt Flugscham und vegetarischer Ernährung als ideologische Kampagne einzelner gegen den gesunden Menschenverstand ansahen. OK Boomer.
Schon in den vergangenen Jahren setzten etliche Unternehmen auf haltungsbasierte Kommunikation. Stellvertretend wird oft die Nike-Kampagne rund um den Footballspieler und politischen Aktivisten Colin Kaepernick genannt, doch mittlerweile haben eine Vielzahl von Marken Haltung als kommunikative Botschaft entdeckt. Mittlerweile drohen wir in die Phase des "Woke-Washings" zu rutschen: Einige Unternehmen nutzen die Umwelt- (oder aktuell Pandemie-) sorgen der Konsumenten und positionieren sich als Helfer oder Aktivist, ohne dass sie ihr unternehmerisches Handeln nachhaltig verändern. Langfristig droht ihnen dabei nicht nur von Konsumentenseite her Ungemach: Anders als manche Vertreter der älteren Generationen nehmen institutionelle Investoren die veränderten Konsumentenbedürfnisse so ernst, dass neben wirtschaftlicher Kennzahlen im Börsengeschäft zunehmend die sogenannten ESG-Kriterien relevant werden: die erfolgreiche Umsetzung von Umwelt- und Sozialstandards im unternehmerischen Handeln.
So wirkt die gegenwärtige Krise einmal mehr als Katalysator für Veränderungen, die schon in den vergangenen Jahren begonnen haben: Unternehmen sind derzeit gezwungen, sich mit ihrer Rolle in der Gesellschaft auseinanderzusetzen und neue Lösungen zu finden. Gelingt es, die schnelle Reaktion auf die globale Pandemie auch auf andere gesellschaftliche und die ökologischen Herausforderungen zu übertragen, werden wir in Zukunft mehr Unternehmen sehen, die nicht nur ihre Kommunikation, sondern ihr gesamtes Geschäftsmodell an den sich verändernden Konsumentenbedürfnissen und den dahinter liegenden Werten ausrichten.
Dieser Beitrag ist ein Original-Post aus dem news aktuell Blog:
https://treibstoff.newsaktuell.de/people-over-profit/
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