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Landeszeitung Lüneburg: "Riss quer durch den Staatsapparat" - Iran-Experte Posch erwartet Schwenk zu autoritäreren Strukturen

Lüneburg (ots)

Auf den Straßen Teherans löst Friedhofsruhe die
wütenden und blutigen Demonstrationen der jüngsten Tage ab. Das 
Regime von Mahmud Ahmadinedschad und des ihn stützenden 
Revolutionsführers Chamenei setzt die volle Staatsmacht zur 
Unterdrückung der Protestbewegung ein. Die Hoffnung der ersten Tage 
nach der zweifelhaften Präsidentenwahl, der Gottesstaat könnte sich 
schnell demokratisieren, verfliegt. Dr. Walter Posch analysiert die 
Lage im Iran für das österreichische Bundesheer. Er erwartet eine 
Stärkung autoritärer Strukturen, zulasten demokratischer Elemente.
Westliche Regierungen neigten dazu, Iran als einheitlichen Block 
wahrzunehmen. Entlarvt die Rebellion ihren Irrtum?
Dr. Walter Posch: Nein, nicht wirklich. Einerseits war die 
Spaltung in Reformisten und Neo-Fundamentalisten, die von 
Konservativen gestützt werden, schon immer bekannt. Und andererseits 
sehen wir jetzt ein Zentrieren des Regimes auf die 
neo-fundamentalistischen Kräfte, was gleichbedeutend mit einer 
Verarmung des politischen Spektrums in Iran ist.
Der Schwenk zu den Neo-Fundamentalisten wird mit Gewalt vollzogen.
Reichen Tränengas, Prügeltrupps und Internet-Zensur, um die Rebellion
niederzuhalten?
Dr. Posch: Ich glaube nicht, dass es sich in Iran schon um eine 
Rebellion handelt. Es ist vielmehr eine Bürgerbewegung im Entstehen. 
Prügel, Tränengas und andere Einschüchterungsmaßnahmen reichen 
natürlich nicht, um den Unmut zu unterdrücken. Deshalb wird das 
Regime dort ansetzen, wo es die größte Gefahr wittert. Es wird den 
Druck auf Hossein Mussawi und Mahdi Karrubi erhöhen, damit aus den 
unumstrittenen Sprechern der Bewegung keine Führer werden, die diese 
strukturieren und ihr Ziele geben können. Aktivisten aus der zweiten 
und dritten Reihe sind bereits überwiegend verhaftet worden. Ziel des
Regimes ist, die Bewegung zu enthaupten, damit sie führerlos 
ausbrennt.
Verpufft die Bürgerbewegung als Jugendrevolte oder besteht noch 
die Möglichkeit, dass sie in eine Revolution mündet?
Dr. Posch: Das iranische Regime hat in fast allen Ebenen seines 
Machtapparates Menschen, die bereits eine Revolution durchgeführt 
haben. Die wissen folglich, was sie vermeiden müssen. Allerdings 
bleibt der Iran ein Stück unberechenbar.
Doch nach den letzten Entwicklungen dürfte der Protest eher abebben. 
Weil das Regime mit einer Mischung aus Brutalität, Repression und 
Effizienz die Schwächen der noch in den Kinderschuhen steckenden 
Bürgerbewegung reagiert.
Das iranische Regierungssystem mischt theokratische und 
demokratische Elemente. Verschieben sich die Gewichte?
Dr. Posch: Ja, aber nicht unbedingt zugunsten der theokratischen 
Elemente. Es ist eher eine Stärkung der autoritären, nicht-klerikalen
Machthaber zu verzeichnen. Indirekt wird damit der Apparat des 
Revolutionsführers und der vom Militär dominierte Nationale 
Sicherheitsrat gestärkt. Entsprechend wird das Parlament geschwächt. 
Dies muss nicht Niederschlag in einer Verfassungsänderung finden, 
doch in der Verfassungsrealität verblasst das demokratische Element.
Derzeit spielt der Wächterrat auf Zeit, will das endgültige 
Wahlergebnis erst am Wochenende präsentieren. Ein Zeichen für 
Uneinigkeit?
D. Posch: Nein, das erscheint mir eher ein taktisch-politisches 
Manöver zu sein. Nachdem Mohsen Resai als erster unterlegener 
Präsidentschaftskandidat seine Beschwerde gegen die Wahlergebnisse 
zurückgezogen hat, soll nun den anderen Kandidaten Zeit für einen 
Rückzieher gegeben werden. So könnten die Oppositionsführer von der 
Bürgerbewegung abgespalten werden.
Wie verlaufen die Konfliktlinien zwischen Revolutionswächtern, 
Mullahs, Händlerelite, Studenten?
Dr. Posch: Durch den Generationswechsel bei den Eliten sind 
radikalere Kriegsteilnehmer an die Macht gekommen. Ihren Durchbruch 
erlebten sie unter der Präsidentschaft von Mahmud Ahmadinedschad.
Zum zweiten verläuft ein Bruch im islamischen Lager -- zwischen den 
Reformisten auf der einen Seite und Neo-Fundamentalisten und einigen 
Konservativen auf der anderen. Die Reformisten wollen im Gottesstaat 
mehr Teilhabe für die Bevölkerung und mehr Rechtsstaatlichkeit -- 
eine Demokratisierung ohne ein Jota Abstriche am Glauben. Ihre 
Widersacher sehen dagegen im Staatsapparat vor allem ein Instrument 
zur Durchsetzung der wahren Ideologie. In diesem Punkt stehen die 
Reformisten in der Tradition Chomeinis, der eine breite Massenbasis 
anstrebte, während die Neo-Fundamentalisten eine elitäre Ideologie 
mit autoritären Mitteln durchzusetzen versuchen.
Dieser Bruch vollzieht sich durch alle Ebenen des 
politisch-religiösen Milieus -- also auch im Beamtenapparat, bei den 
Revolutionsgarden, den Elitetruppen der islamischen Revolution, und 
den Basidschis, der paramilitärischen Miliz.
Revolutionsführer Chamenei hat die Rolle eines Mittlers zwischen 
den Interessengruppen aufgegeben und klar für Ahmadinedschad Partei 
ergriffen. Hat er sein Amt beschädigt?
Dr. Posch: Mit dieser eindeutigen Unterstützung eines Kandidaten 
hat er das Amt zumindest neu interpretiert. Kombiniert man dies mit 
der Aussage Ahmadindschads, der Iran stehe vor einer ganz neuen Ära, 
und den länger bekannten neo-fundamentalistischen Bestrebungen, den 
Iran in eine neue Herrschaftsform übergleiten zu lassen, scheint Iran
tatsächlich vor einem Umbruch zu stehen. Das republikanische Element 
gerät unter Druck, das traditionell als Mittler auftretende geistige 
Oberhaupt wird zu einem polarisierenden Revolutionsführer.
Bremst dieser Umbruch Irans Aufstieg zur regionalen Vormacht?
Dr. Posch: Einerseits würde einem sich auf Gewalt stützenden, 
neofundamentalistischen Regime von den Nachbarn mit mehr Misstrauen 
begegnet.
Anders sieht es beim Streitpunkt Atomprogramm aus: Gerade weil die 
Leute an der Macht bleiben, die 2003 bis 2005 die Atomverhandlungen 
hintertrieben haben, dürften die Chancen für eine Verhandlungslösung 
steigen. Ein Reformer-Präsident hätte größere Schwierigkeiten als 
Ahmadinedschad, Konzessionen innenpolitisch gegenüber den Extremisten
auch durchzusetzen.
Die arabischen Nachbarn stecken in einer Zwickmühle: Einerseits 
lehnen sie das Regime Ahmadinedschad in Teheran ab, anderseits 
fürchten sie, dass das persische Beispiel, sich alle paar 
Generationen der Herrscher über eine Revolution zu entledigen, Schule
macht.
Demnach hätten sowohl Araber als auch die USA Interesse an einem 
stabilisierten Iran...
Dr. Posch: ...Allerdings aus unterschiedlichen Motiven. Die 
arabischen Autokraten wehren sich gegen die aus ihrer Sicht 
skandalöse Idee, dass man Regierungen abwählen kann.
Die USA stecken in einem Dilemma: Sie bemühen sich ernsthaft um eine 
gütliche Einigung im Atomstreit, eingebettet in globale Abrüstung und
eine grundsätzliche Lösung des Nahost-Konflikts. Innenpolitisch wäre 
es allerdings für Obama leichter, müsste er nicht mit einem 
Präsidenten verhandeln, dessen Image derart belastet ist wie das von 
Ahmadinedschad.
Hat der Westen in Iran noch Einflussmöglichkeiten?
Dr. Posch: Kaum. Die traditionellen Einflussmöglichkeiten über 
Geheimdienste oder Wirtschaftssanktionen hat die islamische 
Revolution ausgehebelt. Teheran hat bewiesen, dass es 
wirtschaftlichem Druck trotzen kann.
Es gäbe zwar durchaus gemeinsame Interessen mit dem Westen, etwa in 
Afghanistan, dem Irak oder bei der Energieversorgung Europas. Doch 
genau in diesen Punkten sehen sich Irans Machthaber am längeren 
Hebel.
Es kann für den Westen allerdings ohnehin nicht darum gehen, dem Iran
seinen Willen aufzuzwingen. Nötig ist vielmehr eine in Verhandlungen 
erreichte Übereinkunft in den Kernfragen regionale Sicherheit, 
Atomkraft, Menschenrechte -- also im Wesentlichen die bisherige 
EU-Politik. Nur ist eine solche Übereinkunft jetzt sehr viel 
schwieriger geworden.

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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