Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Koalition
Bielefeld (ots)
Top oder Flop? Die Runde am Abend im Berliner Kanzleramt, aber auch die große Koalition insgesamt muss bis zur Weihnachtspause unter Beweis stellen, was sie noch drauf hat. Franz Müntefering und Angela Merkel werden heute vermutlich im inneren Zirkel der Macht viele lose Enden zusammenführen. Das reicht allerdings nicht, wenn danach wieder die SPD ihre Hamburger Beschlüsse, ein anderes Mal die CSU ihre neuen Profilierungsversuche in den Blick rückt. Schließlich werden Jürgen Rüttgers, Karl-Josef Laumann und andere Alpha-Männchen aus den Ländern noch reichlich Duftmarken setzen. Von der modifizierten ALG I-Finanzierung bis zu einer noch gar nicht absehbaren Dramatisierung der Lage um die Bahn und deren Börsenwert gibt es wieder reichlich Soll-Bruchstellen für die große Koalition. Aber im einzelnen. Beim Mindestlohn stehen die Einigungschancen zumindest für das Gespräch im Kanzleramt gut. Mit dem Grundsatz, dass nur Briefträger von 2008 an Mindestlöhne bekommen sollen, die hauptsächlich Briefe zustellen, war bereits letzte Woche die Kuh vom Eis geholt worden. Jetzt müssen die Berliner Generalisten ins Detail gehen und festschreiben, dass jemand »maßgeblich mit dem Sortieren oder Verteilen von Briefen befasst« sein soll und Firmen gemeint sind, deren »hauptsächlicher Geschäftszweck« die Briefzustellung ist. Königswege zur längeren Zahlung von ALG I an Ältere sind dagegen auch im Kleinklein nicht zu finden. Die SPD lehnt Kürzungen in anderen Bereichen zur Gegenfinanzierung schlicht ab. Dafür kann sie genauso wenig wie Laumann bei der CDU belegen, dass die Kosten unter einer Milliarde Euro bleiben. Schlicht gescheitert sind die bisherigen Pläne zur Bahnprivatisierung, seit die SPD beim Hamburger Parteitag beschlossen hat, eine Teilprivatisierung nur per Volksaktienmodell zuzulassen. Ganz nebenbei hat sie damit ihrem eigenen Verkehrsminister ein Waterloo bereitet. Das fast anarchistische Streikgehabe der Gewerkschaft der Lokführer verstellt derzeit den Blick auf andere, tiefe Bruchlinien. Einige davon reichen nämlich bis ins morsche Gebälk der Beck'schen Machtbasis. Als Kompromiss bietet sich nun ein Holding-Modell an. Unter deren Dach würden Netz und Betrieb bei der Bahn getrennt. Die dringendst benötigten privaten Geldgeber könnten sich dann am Betrieb des Fern-, Regional- und Güterverkehrs sowie der Speditionstochter Schenker beteiligen. Das Schienennetz aber bliebe in der Hand des Bundes. Klingt gut, schmeckt aber den Genossen nicht, und das beredte Schweigen in der Union verheißt auch nichts Gutes. Wenn dann noch Bahnchef Hartmut Mehdorn die Brocken hinschmeißt, der halbe Bahnvorstand gleich mitzieht und die Politik tatenlos zuschaut, wie der Aufschwung von wenigen Egoisten gnadenlos abgewürgt wird, dann ist es vorbei mit der frohen Weihnacht.
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