Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Rücktritt von Franz Müntefering
Bielefeld (ots)
Jetzt bleiben nur noch die »Stones«. Allein Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück garantieren auf SPD-Seite nach dem Rückzug Franz Münteferings den Fortbestand der großen Koalition bis 2009. Gewinner dieses denkwürdigen 13. November 2007 ist der Lipper Steinmeier, der fortan Vize-Kanzler ist und seinen ohnehin hohen Beliebtheitswert als Außenminister weiter steigern kann. Allerdings: Zwei Wochen nach dem Hamburger SPD-Parteitag und dem Beschluss für längere Arbeitslosengeld-I-Zahlungen am Vorabend im Koalitionsausschuss hat Münteferings Linie der Vernunft, für die eben auch Steinbrück/Steinmeier stehen, eine scharfen Knick nach unten erhalten. Den zweiten Preis holte Olaf Scholz, dessen Fähigkeiten bei Müntefering nie sonderlich hoch im Kurs standen. Der Hamburger, gebürtig aus Osnabrück, war 2003 schon einmal fast weg vom Fenster. Damals schaffte er nur hauchdünn die Wiederwahl. Parteichef »Münte« ließ den Generalsekretär eiskalt fallen. Verloren haben heute die SPD und die Bundespolitik den vielleicht letzten großen Sozialdemokraten alter Schule. Bei allen Unwägbarkeiten des politischen Geschäfts hat sich dieser den Ruf einer ehrlichen Haut bewahrt. Deshalb gibt es auch keinen Zweifel daran, dass Müntefering allein aus privaten Gründen aufgibt. Er hat das gesagt, also ist es wahr. Seiner zweiten Frau zuliebe, die er 1995 heiratete, zog der in Sundern/Sauerland aufgewachsene Müntefering im Sommer wieder nach Bonn zurück. Bei 70 und manchmal noch mehr Stunden Verpflichtungen pro Woche blieb allerdings nicht viel für das Familienleben. Angesichts der neuerlichen Krebserkrankung seiner Frau tut er jetzt das einzig Richtige. Niemand sollte diesen durch und durch politisch gewirkten Parteistrategen dafür haftbar machen, dass die große Koalition mit seinem Schritt an Halt und innerer Substanz verliert. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird schwerlich ein ähnlich ideales Widerlager im schwarz-roten Gebälk der Macht finden. Denn Müntefering war mehr als nur der »Stubenälteste« auf SPD-Seite. Bis zur Selbstverleugnung hat er der Regierungschefin gegenüber Loyalität bewiesen. Zugleich zeichnete erst seine Rede beim jüngsten Bundesparteitag die volle Bandbreite der SPD auf. Becks zweistündige Ansprache zu allem und nichts war mehr als enttäuschend. Dennoch stärkt die neue Konstellation deutlich die Rolle des Parteivorsitzenden. Aus glasklaren Gründen lässt er sich nicht in die Kabinettsdisziplin einbinden, zumal sein parteipolitisches Konzept jetzt erkennbar neben der großkoalitionären Spur liegt. Beck muss außen vor bleiben. Eine Regierungskonstellation alter Ordnung nach 2009 braucht unterscheidbare Konzepte und erkennbare Volkstribune. Deshalb wird Steinmeier, trotz seines Aufstiegs zum Vizekanzler, 2009 zweiter Mann bleiben - auch wenn der Wähler die große Koalition zum Weitermachen zwingt.
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