Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) schreibt zur Halbzeitbilanz der Schwarz-Roten Koalition in Berlin:
Bielefeld (ots)
Gestern war der Tag der Bekenntnisse. Kanzlerin, Vizekanzler, große und kleine Akteure auf der Berliner Bühne beschworen Frieden und Freundschaft auch in der zweiten Hälfte der gemeinsamen Regierungszeit. Skepsis ist angesagt, wenn Politiker einhellig Absichten kundtun, insbesondere optimistische. Dabei ist es gerade ein Verdienst der großen Koalition, dass sie die lähmende Politikverdrossenheit am Ende der Schröder-Zeit durchaus mindern konnte. Immerhin stieg der Anteil der Bundesbürger, die ihre Erwartungen in die Koalition eher erfüllt sehen, von 13 Prozent vor einem Jahr auf jetzt 32 Prozent. Die Zahlen sind nicht berauschend, aber sie weisen in die richtige Richtung. Bedenklich: Nach dieser Umfrage sind immer noch zwei Drittel nicht zufrieden mit dem, was Angela Merkel und Franz Müntefering in zwei Jahren geleistet haben. Kaum zu glauben. Dabei wäre Politikerlob statt -schelte fällig. Die große Koalition hat seit 2005 erheblich mehr zuwege gebracht, als wir seit Jahrzehnten von den meisten schwarz-gelben oder rot-grünen Bündnissen jeweils zwei Jahre nach einer Wahl geboten bekamen. Politik ist nicht nur landläufig ein schmutziges Geschäft, sondern auch ein undankbares. Die glasklare Wende am Arbeitsmarkt, Steuereinnahmen, von denen bis bis kurzem niemand zu träumen wagte, und berechtigte Hoffnung auf ein Ende der Politik auf Pump: An diesen Fakten führt kein Weg vorbei. Nur wer lieber Zwist, Streit und am Ende neue Blockaden geboten haben möchte, könnte in der zweiten Halbzeit dieser Legislaturperiode auf seine Kosten kommen - ein fragwürdiges Vergnügen. An den Chancen und Pflichten des neuen Arbeits- und Sozialministers Olaf Scholz ist beispielhaft abzulesen, was auch den anderen Ressortministern bevorsteht. Scholz-Vorgänger Müntefering hat längst ausgeschüttet, was von der Agenda-Politik als Reformdividende zur Verfügung stand. Der Neue wird einen weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit um sage und schreibe 1,5 Millionen nicht vermelden können. Eine nochmalige Senkung des Arbeitslosenbeitrags wird ihm ebenso verwehrt sein. Außerdem steht die weitere Tagesordnung fest: Mindestlohn, Zuschüsse für Geringverdiener, Kürzungen bei der Bundesanstalt für Arbeit. Nichts Neues - und schon gar nichts, für das es Lob von allen Seiten gibt. Hinzu kommt für die Sozialdemokraten im Kabinett, was Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner auf die Formel bringt: »Die SPD ist zwei Parteien«. Sie sei hin- und hergerissen zwischen Fördern und Fordern, Zukunft wagen oder Vergangenheit sichern, 47 Prozent wollten Reformen, 40 eine Reformpause. Das hat Folgen für die Koalition, auch weil in der Union jenseits von Angela Merkel die große Leere herrscht. Der CDU-Parteitag Anfang Dezember soll die Lücke füllen. Wie das geht, hat die SPD in Hamburg gezeigt: Auf Kosten der anderen. Na denn.
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