Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Lea-Sophie
Bielefeld (ots)
Wieder ist ein Kind qualvoll zu Tode gekommen. Lea-Sophie aus Schwerin. Fünf Jahre jung. 7,4 Kilo leicht. Verhungert. Verdurstet. Von den Eltern vernachlässigt. Vernachlässigt? Nein! Mit dieser lapidaren Bezeichnung lässt sich das Geschehene nicht einmal ansatzweise beschreiben. Von einer Vernachlässigung lässt sich sprechen, wenn sich die Eltern nicht darum kümmern, dass der Nachwuchs regelmäßig zur Schule geht oder die Hausaufgaben macht. Wenn, wie erst vor wenigen Monaten in Berlin oder Hamburg vorgekommen, Kinder in völlig verdreckten Wohnungen für längere Zeit auf sich allein gestellt hausen müssen, sprengt das schon jeden Rahmen von Vernachlässigung. Das ist Missbrauch. Missbrauch von Verantwortung. Und dafür kann es keine Entschuldigung geben. Ebensowenig ist es zu entschuldigen, dass sich angesichts des unfassbaren Hungertodes von Lea-Sophie eine parteipolitische Auseinandersetzung entwickelt. Das ist unwürdig. Zu lange wird schon diskutiert und lamentiert. Kevin, Jessica, Lea-Sophie. Nur drei Namen auf einer unendlich langen Liste der Namen betroffener Kinder. Und nach jedem neuen Fall werden wieder Reden geschwungen, werden Ausschüsse einberufen, wird nach Schuldigen gesucht. Natürlich sind es zuallererst die Eltern, die hier versagt haben. Sie haben Tag für Tag mitangesehen, wie ihre Tochter dem Tode näher kam. Die jetzt vielstimmig geforderten jährlichen Pflichtuntersuchungen hätten das aber keineswegs verhindert. Lea-Sophies dramatischer Leidensweg begann nach Auskunft der Ärzte vermutlich erst vor einigen Monaten. Die Gründe dafür sind unklar. Geldmangel war es kaum. Schließlich waren die Haustiere gut genährt. Auch der zwei Monate alte Bruder des verhungerten Mädchens muss einen guten Eindruck hinterlassen haben. Schließlich hatten die Eltern den Jungen bei sich, als sie zum vom Jugendamt anberaumten Termin aufgrund eines anonymen Hinweises kamen. Gerade wegen dieses Hinweises aber hätten die Mitarbeiter nachhaken und sich auch ein Bild von Lea-Sophie machen müssen. Hier ist klar ein Fehler zu erkennen. Spätestens jetzt gilt es, daraus zu lernen. Gut ist die von Ursula von der Leyen vorgebrachte Idee eines verbindlichen Einladewesens zur Vorsorgeuntersuchung: Wer nicht kommt, erhält Besuch vom Jugendamt. Gut ist auch das soziale Frühwarnsystem, wie es im Kreis Gütersloh praktiziert wird. Nach jeder Geburt kommt eine Hebamme ins Haus, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Warnsysteme sind jedoch kein Allheilmittel. Bei Lea-Sophie wurde gewarnt, die Eltern des Kindes waren beim Jugendamt bereits bekannt. Weitaus wichtiger ist deshalb die Hilfe, die fachmännische Begleitung. Nur mit ständiger Unterstützung von Problemfamilien können qualvolle Todesfälle wie der von Lea-Sophie verhindert werden. Darüber kann und darf es keinen politischen Streit geben.
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