Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Ausgang der Hessen-Wahl
Bielefeld (ots)
Es könnte knapp werden in Hessen, das haben alle schon vor der Wahl gewusst. Es ist knapp geworden, und nun lautet die Frage des Tages: Was fangen die Parteien an mit diesem Ergebnis? Sicher ist: Eine Regierung wird es in Hessen nur geben, wenn eine Partei wortbrüchig wird. Szenario 1: Andrea Ypsilanti, die neue Strahlefrau der SPD, wirft ihre Bedenken gegenüber der Linken über Bord und schmiedet eine rot-rot-grüne Koalition. Das Problem: Die hessische SPD-Spitzenkandidatin hat zu oft und zu deutlich betont, nicht mit der Linken zu koalieren. Selbst die Tolerierung einer Minderheitsregierung aus SPD und Grünen durch die Linke wäre nur schwer zu erklären. Szenario 2: SPD und Grüne überzeugen die FDP, in eine gemeinsame Regierung einzutreten. Die Ampelkoalition hätte eine komfortable Mehrheit von sechs Sitzen. SPD und Grünen machen entsprechenden Druck auf die FDP. Tenor: Es liegt nur an den Liberalen, ob Hessen eine stabile Regierung bekommt. Das Problem: Die hessische FDP hat im Wahlkampf stets erklärt, dass sie nur für eine Koalition mit der CDU bereit steht. Und die Bundes-FDP nimmt ihren Landesverband vorsorglich an die kurze Leine. »Das ewige Anschleimen der Sozialdemokraten geht mir langsam wirklich auf den Zeiger«, sagt es FDP-Generalsekretär Dirk Niebel drastisch. Szenario 3: eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen. Damit hätte Niebel keine Probleme, aber die Grünen. »Die Hessen in ihrer Mehrheit wollen Roland Koch nicht mehr als Ministerpräsidenten haben«, sagt ihr Landesvorsitzender Tarek Al-Wazir. Szenario 4: Eine große Koalition hat naturgemäß die satteste aller Mehrheiten, sonst aber auch nichts. Dass Koch und Ypsilanti nach diesem Wahlkampf in einer Regierung sitzen, ist unvorstellbar. »Das Tischtuch ist so zerschnitten, da hilft kein Flickzeug der Welt mehr«, sagt SPD-Generalsekretär Norbert Schmitt. Mindestens einer von beiden müsste also weg. Doch wer und wohin? Außerhalb Hessens hat Becks SPD für Gewinnerin Andrea Ypsilanti derzeit kaum etwas zu bieten. Schon eher ließe sich für den großen Verlierer ein adäquater Posten finden. Koch, so geistert ein Gerücht durch das politische Berlin, könnte Wirtschaftsminister werden. Amtsinhaber Michael Glos (CSU) würde ins Verteidigungsministerium von Franz Josef Jung (CDU) wechseln und der - hier schließt sich der Kreis - ginge zurück in seine politische Heimat Hessen. Doch auch da blieben Fragen: Was sagt die CSU zu einem solchen Wechselspiel, das sie einen Ministerposten kosten würde? Wer stellt dann den Ministerpräsidenten in Hessen? Die um 12 Prozentpunkte abgestrafte CDU oder die SPD, die klar dazu gewonnen hat, aber trotzdem nur zweitstärkste Partei ist? Noch-Ministerpräsident Roland Koch hat Recht: In Hessen ist es dieser Tage »sehr, sehr, sehr schwer zusammenzukommen«. Das aber muss gelingen, denn für Neuwahlen gibt es nicht einen Grund. Eher schon für Selbstkritik nach dem Motto: Wer vorher alles ausschließt, darf sich hinterher nicht wundern, wenn nichts geht.
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