Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Wahl in Hamburg:
Bielefeld (ots)
Ole von Beust verliert die absolute Mehrheit, bleibt aber Bürgermeister in Hamburg. Die vorhergesagten CDU-Verluste sind gestern weniger stark eingetreten, dafür könnte von Beust mit den Grünen zusammen die politische Kleiderordnung in Deutschland neu ausrichten. Mit der einst weit außerhalb des Bürgertums stehenden Grün Alternativen Liste (GAL) bietet sich eine doppelte Chance: Die Union kann sich vom Dauer-Partner FDP entkoppeln und die Grünen kommen aus der SPD-Knechtschaft frei. Inhaltlich nicht leicht, strategisch aber verlockend für beide wäre das schon. Hamburg könnte auch zeigen, wo die in den Hintergrund gerückte einstige Umweltpartei ihren Platz in den neuen Fünfer-Parlamenten hat: Als Sandwich zwischen den Bürgerlichen und Rot-Rot. Am wenigsten kann das der FDP gefallen, die gestern Abend lange im Ungewissen zittern musste. Den Status als Funktionspartei zu verlieren, bedeutet eine Katastrophe für die Liberalen. So wie die gelbe Partei unter der Glaubwürdigkeitskrise der Etablierten zu leiden hatte, so schöpfte die tiefrote Linke das gesamte Protestpotenzial in Hamburg diesmal für sich ab. Fast geschäftsmäßig wurde am Wahlabend zur Kenntnis genommen, dass die Linkspartei im zehnten Landtag, dem vierten im Westen, angekommen ist. Kurt Beck ist noch einmal davon gekommen. Keine Frage, mit seiner Bereitschaft zum Wortbuch in Hessen hat er sich fast um Kopf und Kragen geredet. Die SPD fuhr gestern in Hamburg gut drei Prozentpunkte mehr ein als 2004. Allerdings sind die Zuwächse bei weitem nicht so deutlich ausgefallen, wie in der Euphorie nach der Hessen-Wahl jeder gerne glauben wollte. Gerade weil sich jetzt nicht ganz genau festmachen lässt, ob es den schädlichen Beck-Effekt gab, bleibt dem SPD-Chef der fast schon sicher scheinende Rausschmiss erspart. Allerdings ist in dieser Frage das letzte Wort nicht gesprochen. Eng für die SPD auf Bundesebene wird es insbesondere, wenn von Beust, wie angekündigt, zügige Verhandlungen in Hamburg führt und schon bald die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene vorlegt, während in Hessen die Hängepartie andauert. Der Beck-Effekt hätte dann eine zweite Folge - und die ist schwarz-grün. CDU und GAL entdecken soeben in Hamburg, dass sie wertkonservative Gemeinsamkeiten haben. Aufgeklärtes Bürgertum, hanseatische Vernunft und intellektuelle Beweglichkeit verbinden die Lager. Die Kernkraftfrage lässt sich auf Landesebene ausklammern, in der Schulpolitik benötigt die Union in der Tat frische Ideen und die Nutzung erneuerbarer Energien gefällt auch CDU-Wählern. Die Sache muss nur bezahlbar bleiben. Auch Angela Merkel befände sich in einer komfortablen Lage: Sie könnte sich von den Grünen den Pelz waschen lassen, ohne nass zu werden. Schwarz-Grün in Hamburg diente ihr in bald stürmischeren Zeiten als raffinierte Alternative - mit und ohne FDP.
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