Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Staatseinnahmen
Bielefeld (ots)
Von dem überraschend hohen Überschuss in den Staatskassen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres sollte sich niemand blenden lassen. Der Bundesfinanzminister muss in diesem Jahr noch immer zehn Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen, um einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können. Nordrhein-Westfalen wird frühestens 2010 auf die Aufnahme neuer Schulden verzichten können. Für Steuersenkungen ist daher kaum Spielraum, abgesehen von einer Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung, den die große Koalition in Aussicht gestellt hat. Die nachlassende Konjunktur, ablesbar an einem Minus bei der Wirtschaftsleistung von 0,5 Prozent im zweiten Quartal, sollte zur Vorsicht mahnen. Diese Delle beim Wirtschaftswachstum wird sich in den kommenden Monaten auch bei den Steuereinnahmen niederschlagen. Von vorschnellen Steuergeschenken ist angesichts dieser Situation abzuraten. Die Erfahrung lehrt, dass solche Geschenke bei der hohen Schuldenlast der öffentlichen Kassen früher oder später wieder eingesammelt werden. Dieser Staat schiebt noch immer einen immensen Schuldenberg von 1,5 Billionen Euro vor sich her. Der Abbau dieses Berges an Verbindlichkeiten muss im Interesse kommender Generationen weiterhin Vorrang haben. Für den Vorschlag aus der FDP, steuerliche Entlastungen für die Bürger nur durch Ausgabenkürzungen im Bundeshaushalt zu finanzieren, wird es angesichts des bevorstehenden Bundestagswahlkampfs im kommenden Jahr keine Mehrheit in der großen Koalition geben. Von steuerlichen Entlastungen am wenigsten profitieren würden Geringverdiener. Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes erzielten 28,8 Prozent der Arbeitnehmer 2004 Einkommen bis zu 10 000 Euro, die zum größten Teil steuerfrei waren. Gerade die Gruppe dieser Geringverdiener musste in den vergangenen Jahren Einbußen beim Realeinkommen von 14 Prozent hinnehmen, wie eine neue Studie zeigt. Ein gesetzlicher bundesweiter Mindestlohn, wie ihn die Autoren der Studie vorschlagen, um die Situation von Geringverdienern zu verbessern, ist politisch höchst umstritten und bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen nicht durchsetzbar. Wirtschaftsexperten prophezeien bei einem bundesweiten Mindestlohn einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen im Niedriglohnsektor. Gescheitert sind auch Versuche, Menschen mit geringem Einkommen den Anstieg der stark gestiegenen Energiepreise etwa durch Sozialtarife abzufedern. Es ist müßig zu betonen, dass das beste Hilfsprogramm die Schaffung neuer gut bezahlter Jobs und der Qualifizierung von Menschen besteht. Darauf sollte Koalition alle Anstrengungen konzentrieren. Andererseits bleibt nur die Möglichkeit, das Instrumentarium staatlicher Hilfen auszubauen, indem etwa mehr Menschen Anspruch auf Wohngeld erhalten. Unter dem Vorbehalt, dass zusätzliche Ausgaben bezahlbar sind, ohne neue Schulden.
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