Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) kommentiert:
Bielefeld (ots)
Machen wir uns nichts vor: Die Finanzkrise ist noch lange nicht ausgestanden. Wie weit die Panik an den Börsen bereits um sich gegriffen hat, zeigte gestern die Reaktion auf das doch noch erfolgreich geschnürte Rettungspaket für die klamme Hypo Real Estate: Der Dax rauschte in den Keller - obwohl Laien nach der staatlichen Milliarden-Spritze doch das Gegenteil erwarten mussten. Der gesunde Menschenverstand aber ist längst im Strudel der Finanzmärkte versunken. Weltweit sind Börsen und Bankhäuser von Hysterie erfasst - und das ist das eigentliche Problem. Vertrauen lässt sich nicht erkaufen, Vertrauen muss man sich verdienen. Die Rendite-Rambos der Investmenthäuser, die mit immer neuen, immer undurchsichtigeren Geschäften sagenhafte Gewinne versprachen und am Ende ein ungeheures Gemetzel an den Finanzmärkten anrichteten, haben den Ruf der Branche ruiniert. Was das Finanzsystem nicht mehr leisten kann, muss nun die Politik richten. Mit beruhigenden Floskeln ist es längst nicht mehr getan. Auf sage und schreibe mehr als eine Billion Euro beläuft sich nach jüngsten Angaben des Finanzministeriums die Garantie für sämtliche private Spareinlagen in Deutschland. Müssten Finanzminister Peer Steinbrück und Kanzlerin Angela Merkel dieses Versprechen tatsächlich einlösen, würden sie schon jetzt gigantische Staatsverschuldung von 1,5 Billionen Euro auf einen Schlag um zwei Drittel erhöhen. Das würde selbst den stärksten Staat in die Knie zwingen. Doch Merkel und Steinbrück wissen, dass dieser Fall nie eintreten wird. Denn anders als im Jahr 1929 erleben wir zwar eine Finanz-, nicht aber eine Wirtschaftskrise. Die deutsche Konjunktur läuft noch immer gut, auch wenn ein Dämpfer für das Wachstum kaum ausbleiben dürfte. Das, was die Finanzjongleure mit abfälligem Unterton als »Realwirtschaft« bezeichnet haben, ist die wahre Stütze unseres Wirtschaftssystems. Deutschland hat die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt. Und Deutschland verfügt mit Sparkassen, Volksbanken und Geschäftsbanken über ein Finanzsystem, das so stabil ist wie kaum ein anderes. Wenn also eine Volkswirtschaft in der Lage ist, über die Grenzen hinaus für Vertrauen und Zuversicht zu sorgen, dann ist es die deutsche. Und Deutschland ist auch dazu berufen, bei der Reform der Finanzaufsicht voranzugehen, indem es zunächst vor der eigenen Haustür kehrt. Wenn die Bundesbank die Bankenaufsicht von Fehlern bei der Überwachung der Hypo Real Estate freispricht, dann stellt sie dem gesamten Kontrollsystem ein Armutszeugnis aus. »Wir brauchen Finanzmärkte, aber nicht ungezähmte, wo der Profit und die Gier das einzige sind, was zählt«, fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wir brauchen aber auch eine Finanzaufsicht, die sich nicht mehr so leicht ins Bockshorn jagen lässt.
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