Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) kommentiert:
Bielefeld (ots)
Beinahe unbemerkt vollzieht sich dieser Tage sehr Bemerkenswertes, und das hat ausnahmsweise mal nichts mit der weltweiten Finanz- und Bankenkrise zu tun. Die grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk genehmigt den Bau des Kohlekraftwerks Hamburg-Moorburg - und was macht die Basis der Grün-Alternativen Liste (GAL)? Die Mitglieder nicken die Entscheidung nicht nur ab, sondern stärken der Parteispitze gar den Rücken und plädieren mit großer Mehrheit für die Fortsetzung der Koalition mit der CDU. Doch was ist daran bemerkenswert? Lange schon ist auch für die Grünen Regieren besser als Opponieren oder - wie Franz Müntefering es sagt: »Opposition ist Mist.« Lange hat die Hamburger GAL für diese Regierungsbeteiligung gekämpft. Jetzt will die Parteispitze gestalten und sich nicht bei der erstbesten Gelegenheit gleich wieder in die Büsche schlagen. Bemerkenswert ist, dass die Grünen eine realitätsnahe Antwort gegeben haben, wie ihre Überzeugungen und die energiepolitischen Notwendigkeiten unter einen Hut zu bringen sein könnten. Noch ist nämlich überhaupt nicht sicher, ob der grüne Traum jemals in Erfüllung geht. Der Traum, dass Sonne, Wind und Wasser den Energiebedarf der Menschheit decken können. Sicher ist hingegen, dass Sonne, Wind und Wasser diesen Bedarf jetzt und auf absehbare Zeit nicht decken können. Wenn es nun aber trotzdem beim Atomausstieg - dem grünen Lebenselixier - bleiben soll, so geht es nicht ohne fossile Brennstoffe. Wer »Atomkraft, nein danke« sagt, muss klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) aus den Schornsteinen eines Kohlekraftwerkes als kleineres Übel akzeptieren. Grüne Logik zähmt das »Umweltmonster« Moorburg. Geholfen hat der grünen Basis, dass die Umweltsenatorin angesichts der Rechtslage kaum eine Wahl hatte. Anja Hajduk musste die zwei Milliarden teure Anlage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall genehmigen. Eine Verfahrens-, keine Glaubenssache, könnte man beschwichtigend sagen. Zudem hat sie mit strengen Auflagen dafür gesorgt, dass das Kraftwerk nur mit gedrosselter Leistung laufen darf. Doch warum sollte sich die GAL-Spitze dann den Segen der Basis holen? Und warum sollten 90 Prozent der 350 anwesenden Parteimitglieder für die Fortsetzung von Schwarz-Grün stimmen? Die GAL hat nicht nur für den Machterhalt votiert, sie ist nicht nur juristischen Fallstricken ausgewichen und hat nicht nur Genehmigungskosmetik betrieben. Hamburgs Grüne haben eine zentrale Botschaft ihres Wahlkampfes geopfert, in dem sie CDU-Bürgermeister Ole von Beust hämisch als »Kohle von Beust« tituliert hatten. Sie haben im Bereich ihres Markenkerns eine Entscheidung getroffen, die Maßstäbe für die Zukunft setzt - ob gewollt oder ungewollt. Eine politisch sehr riskante Entscheidung. Immerhin stehen im nächsten Jahr Europa- und Bundestagswahlen an. Auch wenn es kein Grüner so sagen und sehen wird: Mit Moorburg probt die GAL die Zeitenwende in der Energiepolitik.
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