Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Duisburg und die Medien
Bielefeld (ots)
Seit einer Woche haben wir die Bilder vor Augen: Junge Leute, die sich auf eine riesige Party freuen, und deshalb bereit sind, den Weg durch den Tunnel zu nehmen. Ein paar hundert Meter noch bis zur Fete des Jahres. Seit einer Woche sehen wir die Bilder, und wir kennen die Folgen: 21 Menschen sind tot, mehr als 500 wurden verletzt. Wer in Duisburg dabei war, wird ihr Leiden und ihr Sterben vielleicht ein Leben lang vor Augen haben. Allein mehr als 300 der eingesetzten Polizisten sind traumatisiert. Seit einer Woche lautet die Frage: Warum konnte das passieren? Bis heute will keiner der Verantwortlichen seine Verantwortung tragen. Das ist verheerend und muss gebrandmarkt werden. Eine Aufgabe auch für die Medien. Doch wir Journalisten täten zugleich gut daran, nach unserer Verantwortung zu fragen. Auch wir haben einen Anteil an Duisburg. Warum? Wegen Ottilie Scholz. Die 62-jährige SPD-Frau ist Oberbürgermeisterin von Bochum und musste im vergangenen Jahr so etwas wie das mediale Fegefeuer erleben. Scholz hatte die Loveparade wegen zu großer Sicherheitsbedenken abgesagt. Es folgte ein Spießrutenlauf. Von »Kapitulation« und »Blamage« war zu lesen. Ottilie Scholz stand als Bedenkenträgerin am Pranger, die dem Ruf Bochums und des gesamten Ruhrgebiets schadet. Ein Jahr später ist vieles gleich und doch alles anders. Wieder äußerten Polizei und Rettungskräfte früh und nachdrücklich Bedenken, vieles davon ist protokolliert. Ortskundige schickten ihre düsteren Vorahnungen gar über das Internet in die ganze Welt hinaus. Warum aber gelang es nicht, für all das eine größere Öffentlichkeit herzustellen? Eine Öffentlichkeit, die sogar eine Absage im letzten Moment nicht als Blamage, sondern als einen Sieg der Vernunft interpretiert hätte? Es misslang auch deshalb, weil Zeitungen, weil Radio- und Fernsehsender nicht genau genug hingehört und hingesehen haben. Oft wird Journalisten vorgeworfen, zu kritisch zu sein, das Negative zu suchen und herauszustellen. »Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten«, heißt es dann. Diesmal aber müssen wir uns vorwerfen, dass wir nicht kritisch genug waren. Im Vorfeld hätte vermutlich ein Bruchteil der Aufmerksamkeit, die Duisburg seit Samstag zuteil geworden ist, genügt, um das Schlimmste zu verhindern. Das muss gesagt sein, auch weil man als Journalist im Nachhinein leicht und ohne großes Risiko alles und jedes kritisieren kann. Und auch deshalb, weil zu viele der nach der Katastrophe veröffentlichten Berichte und Fotos dazu angetan waren, dem Leid der Opfer und ihrer Angehörigen weiteres Leid hinzuzufügen. Eine Woche ist es her, da begann in Duisburg ein Spektakel - laut und bunt und fröhlich. Dieser Samstag wird ganz anders verlaufen. Nicht nur bei der Trauerfeier in Duisburg wird es still werden. Dieser Samstag sollte ganz dem Gedenken gehören. 21 Tote müssen allen eine Mahnung sein - auch uns Journalisten.
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