Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema "familienfreundliche Arbeit":
Bielefeld (ots)
Hüten wir uns vor zu hohen Erwartungen: Nur, weil die Bundeskanzlerin, die Familienministerin, Wirtschafts- und Gewerkschaftsvertreter eine Charta unterzeichnet haben, werden Arbeitszeiten nicht plötzlich familienfreundlich. Immerhin - und das ist schon etwas - ist der Konflikt zwischen Familie und Beruf ein Thema. Der Idealzustand ist doch der: Ein Mensch kann sein Berufs- und Privatleben nach seinen Bedürfnissen vereinbaren. Er arbeitet - aber nicht nur. Weil er Zeit für Hobbys und seine Familie hat, ist er zufrieden und deshalb ein leistungsfähiger Mitarbeiter. Fragt man Menschen, die in Teilzeit arbeiten, warum sie dies tun, so erkennt man schnell: Vom Idealzustand ist die reale Welt weit entfernt. 26,6 Prozent der Befragten gaben an, Kinder oder Pflegebedürftige betreuen zu müssen und deshalb nicht in Vollzeit arbeiten zu können. Der zweithäufigste Grund, den das Statistische Bundesamt im Jahr 2008 ermittelte, waren sonstige persönliche Verpflichtungen. Erst an dritter Stelle nannten die Umfrageteilnehmer, keine Vollzeitstelle zu finden. Die Nachfrage ist also da. Und das Angebot? Überschaubar. Nun können Politiker ein Marktgleichgewicht schaffen, indem sie nicht nur freiwillige Selbstverpflichtungserklärungen unterschreiben, sondern Gesetze verabschieden. Sie könnten die Unternehmer also zwingen, beispielsweise jedem Mitarbeiter, der am Schreibtisch sitzt, ein Heimbüro einzurichten. Natürlich müssten auch die, die in der Werkstatt arbeiten, ein vergleichbares Angebot bekommen. Nur welches? Man muss das Beispiel nicht ausführen, um zu verdeutlichen, dass ein Gesetz nie jedem Berufstätigen gerecht wird. Das Top-down-Prinzip - einer, der Staat, trifft auf oberer Ebene eine Entscheidung, der andere, der Unternehmer führt sie auf unterer Ebene aus - funktioniert nicht. Ein weiterer Akteur, der Angebot und Nachfrage in Einklang bringen kann, ist der Unternehmer. Er kann familienfreundliche Arbeitszeiten anbieten, wenn er neben dem Willen das Geld und den Mitarbeiterpool besitzt. Für Konzerne ist es leichter, flexibel zu reagieren, als für einen Mittelständler, der für einen Aufgabe nur einen Mitarbeiter hat. Um auch den Mittelständler zu bewegen, aus einer vollen zwei halbe Stellen zu machen (sofern der Mitarbeiter es will), braucht es Zeit. Mitarbeiter sollten ihre Bedürfnisse deshalb immer wieder äußern, also von unten nach oben vorgehen. Das ist die Bottom-up-Strategie. Über kurz oder lang spricht die demographische Entwicklung, wonach es immer weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter gibt, für sie. Wie sieht die Lösung aus? Damit Menschen eine Gesellschaft als familienfreundlich bewerten, ist es richtig, dass Politiker das Thema immer wieder aufgreifen. Unternehmer müssen ihr Angebot ausweiten und Mitarbeiter müssen Druck machen - immer den Idealzustand vor Augen.
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