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Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Unwort des Jahres:

Bielefeld (ots)

Die Jury rief, und tatsächlich: ein paar kamen. Sechs Sprachkritiker haben aus 2224 Vorschlägen die 269 Mal genannten »Döner-Morde« zum Unwort des Jahres gewählt. 2224 Einsender. So viele wie nie zuvor. Wenn man jetzt ernstlich böse werden wollte, müsste man die Rechnung aufmachen, dass sich in diesem Land überhaupt nur 0,003 Prozent der Bürger für sprachliche Fragen interessieren, aber man will ja nicht ernstlich böse werden. Viel lieber möchte man sich freuen, dass ein diskriminierender Begriff demaskiert, markiert und aus der Alltagssprache ausgeschieden wurde. Schön wär's, wenn dieses Schicksal - Enttarnung, Etikettierung, Ächtung - nun auch all den anderen unsinnigen Lautäußerungen widerfahren würde, die unsere Kommunikation zumüllen. »Ich denke«, sagt der Deutsche heute, wenn er in Wirklichkeit etwas vermutet: »Ich denke, Arminia wird das nächste Spiel gewinnen.« Ein verdeckter Anglizismus (I think), und man ist versucht, dem Sprecher zu empfehlen, er möge doch lieber gar nichts sagen, anderenfalls verunstalte er bloß sein Denken. Da lösen die Fernsehkommissare »einmal mehr« einen Fall - einmal mehr als ihre realen Kollegen? Oder spukt das englische once more durch den Kopf, und es war »schon wieder« gemeint? Was ist eine »suboptimale« Lösung? Ein kleines bisschen schlechter als die allerbeste Lösung? Oder doch eher gewaltiger Bockmist? Die Verwahrlosung unserer Sprache hat einen einfachen Grund: Der deutsche Michel ist obrigkeitshörig, er war es und wird es immer bleiben. Er hört einen Funktionsträger, wie mittelmäßig der auch sein mag, von »nachhaltigen Maßnahmen« schwätzen, von zwei Leerformeln also, die auch im Doppelpack nicht voller werden - und plappert's beglückt nach. Von oben schallt's herab: AKW im »Stresstest« (als könne tote Materie jemals psychische und physische Reaktionen auf Belastung zeigen) - und unten wird gleich eine Krone vergeben: »Wort des Jahres«. Unfassbar. Irgendwann gelangt man so zu den »Döner-Morden«: Ahnungslosigkeit. Ist der Döner-Mord ein Mord an einem Döner? Der von einem Döner begangene Mord? Mord, um einen Döner zu erbeuten? Mord mit dem Döner als Tatwaffe? Unsinn - allerdings Unsinn, wie er üblich ist, wenn Deutsche reden (und wenn sie schreiben). Die von Journalisten geprägten »Döner-Morde«, die dem von Polizisten eingeschlagenen Kurs folgten (»Soko Bosporus«), sind also kein Ausdruck fremdenfeindlicher Gesinnung. So viele Rechtsradikale, wie es die Geisterjäger gerne hätten, gibt es gar nicht. Die »Döner-Morde« sind Ausdruck der Sprachschluderei. Sprache ist Wort gewordenes Denken. Wo geschwafelt wird, wurde zuvor nicht (nach-)gedacht. Wer also eine Antwort auf die Frage sucht, warum das Land seine Probleme nicht mehr löst - hier könnte er fündig werden.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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