Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Gauck
Bielefeld (ots)
Seit zwei Monaten ist Joachim Gauck im Amt und spätestens in dieser Woche hat der Bundespräsident die Eignungsprüfung bestanden. Mit Bravour sogar. Wer sich für vier Tage als deutsches Staatsoberhaupt in Israel und in den Palästinensergebieten bewegt, weiß um die Gefährlichkeit der Region. Der gesamte Nahe Osten ist vermint - ein falsches Wort und Diplomaten haben Arbeit für Jahre, um mit guten Worten und gezielten Wohltaten die Wogen wieder zu glätten. Das alles hat sich Gauck mit viel Fingerspitzengefühl erspart. Er wollte in Israel nicht als Besserwisser auftreten - das wäre ihm auch nicht gut bekommen. Nach dem polternden Literaturnobelpreisträger Günter Grass, der vor zwei Monaten Israel in Gedichtform vorgeworfen hatte, mit der Bedrohung des Iran den Weltfrieden zu gefährden, zeigte sich Gauck als Freund Israels. Seinem Gastgeber, Staatspräsident Schimon Peres, versicherte der Bundespräsident, Israel und Deutschland seien enger verbunden als jemals zuvor. Und: Israel müsse in sicheren Grenzen leben können. Beim Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem verzichtet Gauck auf große Worte und drückt mit dem Eintrag ins Gästebuch die deutsche Verantwortung für das Geschehene aus. Dieser Bundespräsident weiß um die Bedeutung seiner Worte und verfügt über die Gabe, im passenden Moment zu schweigen. So wie in Yad Vashem, wo er seine Eindrücke und Gefühle nicht in jedes Mikrofon posaunen wollte. Selbst als ihm eine Distanz zur Kanzlerin nachgesagt werden sollte, meidet Gauck das Glatteis. Er erlaubt sich, laut zu denken. Den Begriff Staatsräson will er anders auslegen als Angela Merkel - mit dem gleichen Ergebnis. Wer wie Gauck seinen Gesprächspartnern zuhören kann und sie ausreden lässt, verdient sich das Recht, selbst Klartext zu reden. Im Gespräch mit dem israelischen Regierungschef mahnt er mehr Zurückhaltung in der Siedlungsfrage an. Israel errichtet immer mehr jüdische Siedlungen auf dem Gebiet der Palästinenser und schafft damit Fakten, die einer friedlichen Lösung im Wege stehen. Benjamin Netanjahu sieht das naturgemäß anders. Was dieser erwidert hat, wird nicht bekannt. Denn derartige Diskussionen finden zum Glück ohne Öffentlichkeit statt. Gauck spricht später von »Ehrlichkeit« in der politischen Auseinandersetzung. Das heißt, jeder hat sich getraut, die Dinge offen anzusprechen. Nur Freunde können sich die Wahrheit ins Gesicht sagen, ohne dass sich der andere beleidigt abwendet. Dieser Linie blieb Gauck beim Besuch in den Palästinensergebieten treu. Eine Zweistaatenlösung gebe es nur bei Gewaltverzicht. Solidarität und finanzielle Hilfe - das hatte Gauck im Gepäck. Zu Versprechungen, die er nicht halten kann, ließ er sich nicht hinreißen. Respekt, Herr Bundespräsident.
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