Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Duell Steinbrück gegen Merkel
Bielefeld (ots)
Na, endlich! Endlich eine Europa-Debatte im Bundestag, die diesen Namen auch verdient. Angela Merkel erklärungsstark und gestaltungsfreudig wie selten zuvor, Peer Steinbrück wortmächtig wie immer. Als wahrer Sieger aus diesem ersten Rededuell in neuer Rollenverteilung geht so das Publikum hervor. Keine Frage, dass die Kanzlerin allein durch den unmittelbar folgenden Auftritt ihres Kontrahenten herausgefordert war. Doch Konkurrenz kann ja bekanntlich das Geschäft beleben: Und tatsächlich wirkte Merkel in ihrer Regierungserklärung eher beflügelt denn gelähmt. Nicht nur scheint bei der Kanzlerin eine neue Idee von Europa im Werden begriffen, sondern endlich findet sie auch die passenden Worte dafür. Offensichtlich ist Merkel das ewige Reparieren leid, Gestalten lautet nun ihr Credo. Und erstmals ist sie bereit, dafür etwas zu riskieren. Sollte sich dieser Eindruck bestätigen, so hat sich die Wahl von Steinbrück zum SPD-Kanzlerkandidaten schon gelohnt, noch bevor sie offiziell erfolgt ist. Abermals erfindet sich die Kanzlerin neu: weg von der Blockade und den stetigen Verweisen auf all das, was nicht geht oder nicht sein darf, hin zu dem, was werden soll. Und deutlich mehr Klarheit darüber, welche Probleme auf diesem Weg noch lauern und welche Verpflichtungen sich für Deutschland daraus noch ergeben könnten. So darf es nicht nur weitergehen, so muss es weitergehen. Viel zu lange hat genau das am meisten gefehlt, denn ohne Mut zur Wahrheit - mag sie auch noch so bitter sein - ist Europa nicht zu gestalten. Merkels Plan ist ambitioniert, ihr Fahrplan konkret. Der Gipfel gestern und heute in Brüssel soll die Weichen stellen, im Dezember sollen Beschlüsse folgen: mehr gemeinsame Finanzmarkt-, Fiskal- und Wirtschaftspolitik, mehr demokratische Legitimation im komplizierten Geflecht zwischen nationalstaatlicher Souveränität und europäischen Durchgriffsrechten. Und dann ist da noch ein Merkelsches Versprechen, das als Messlatte gelten wird: »Wir werden vorankommen und zwar genau in dem von mir beschriebenen Sinn.« Steinbrück freilich gibt sich von alldem gänzlich unbeeindruckt: »Diese Rede hätten Sie vor zwei Jahren halten müssen«, kontert der Kandidat, trifft die Kanzlerin damit an ihrem wunden Punkt und fordert prompt noch schonungslosere Ansagen - zum Beispiel die, dass Deutschland in jedem Fall für Griechenland einstehen müsse, komme, was da wolle. Auch seine Analyse, die Regierung Merkel treibe doppeltes Spiel, wenn Teile von FDP und CSU aus innenpolitischem Kalkül den Europaskeptikern das Wort reden, findet treffsicher ihr Ziel. Im Parlament wird an diesem 18. Oktober klar: Europa und der Euro sind für Angela Merkel wie für Peer Steinbrück alternativlos, der Kanzlerin aber steht erstmals seit langer Zeit wieder eine echte Alternative gegenüber. Das wird der EU nicht schaden und für die politische Kultur in Deutschland kann es ganz gewiss nur gut sein.
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