Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT zu dem ZDF-Dreiteiler »Unsere Mütter, unsere Väter«
Bielefeld (ots)
Herbst und Winter 1955 waren in der Geschichte der Bundesrepublik eine hochemotionale Zeit. Damals kehrten die letzten Kriegsgefangenen aus Russland zurück, und die Menschen empfanden das als symbolisches Ende des Zweiten Weltkriegs. Aber die Erinnerungen an die schrecklichen Erlebnisse waren damit nicht automatisch verschwunden. Ich erinnere mich an meinen ehemaligen Friseur, der Hitlers Krieg im Osten ein verkrüppeltes Bein verdankte und der, während er mir die Haare schnitt, immer wieder von der Hölle in den Schützengräben erzählte, weil ihn die Erinnerungen nicht losließen. Nun bringt der ZDF-Dreiteiler »Unsere Mütter, unsere Väter« das von vielen aus der Kriegsgeneration mühsam Verdrängte wieder zum Vorschein. Ist das sinnvoll? Wäre es nicht Zeit für einen Schlussstrich mehr als 60 Jahre danach? Nein, der Film ist wichtig. Nur noch wenige Zeitzeugen können der jüngeren Generation, die nur den Frieden kennt, erzählen, wie es damals war. Und das ist wichtig in einer Zeit der Geschichtsvergessenheit, in der nur gut 20 Jahre nach dem Fall der Mauer immer mehr Schüler die DDR allen Ernstes für einen Rechtsstaat halten. »Unsere Mütter, unsere Väter« sollte Pflichtstoff in den Schulen werden. Sie sollten die DVD anschaffen und zum Anlass nehmen, Zeitzeugen in die Klassen einzuladen. In den Familien ist die Trilogie vielleicht die letzte Chance, das Schweigen zu brechen, Gespräche zwischen Großvätern und Enkeln in Gang zu bringen. Der ZDF-Film zeichnet ein authentisches Bild. Die Wehrmachtssoldaten werden weder als Mörderbande verunglimpft, noch als ritterliche Kämpfer reingewaschen. Unter ihnen gab es überzeugte Rassisten und Sadisten, die die Zivilbevölkerung terrorisierten - und das waren nicht nur Mitglieder der SS-Einsatzkommandos hinter der Front. »Zweifellos ist zutreffend, dass die Wehrmacht an allen Verbrechen - von der Erschießung von Zivilisten bis zur systematischen Ermordung jüdischer Männer, Frauen und Kinder - beteiligt war«, schreiben Sönke Neitzel und Harald Welzer in ihrem Standardwerk »Soldaten«. Neitzel, Welzer und ihr Kollege Felix Römer (»Kameraden«) werteten aufschlussreiche Gespräche aus, die Briten und Amerikaner bei deutschen Soldaten mitgehört und protokolliert hatten und die von der »Normalität des Brutalen« zeugen. Historiker und Filmemacher verurteilen aber nicht pauschal. Sie machen deutlich, dass Millionen Soldaten versuchten, anständig zu bleiben, und unter den Umständen litten, die das so schwer machten. Sie fühlten sich wie »menschliches Vieh in einer riesigen Schlachtbank«, wie Volker Bruch als Leutnant Winter im Film sagt. Die Erkenntnis, für den Verbrecher Hitler gekämpft zu haben, verstärkte das Trauma der Kriegsheimkehrer. Dem ZDF gebührt das Verdienst, dass der Sender dem Leiden unserer Väter und Mütter ein Denkmal setzt, ohne ihr Tun zu verharmlosen.
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