Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Obama
Bielefeld (ots)
Mit fast fünf Jahren Verspätung hat Barack Obama nun doch noch am Brandenburger Tor gesprochen. Und ja: Es war eine gute Rede - auch wenn ihr der eine, der ganz große Satz fehlte. Historisch allerdings wird die Ansprache vom 19. Juni 2013 nur, wenn der US-Präsident seine Ankündigungen Wirklichkeit werden lässt. Vor allem an der versprochenen Reduzierung der Atomwaffen und der dazu notwendigen Einigung mit Russland wird Obama gemessen werden. Freundliche Worte, wohlkalkulierte Gesten und jede Menge schöner Bilder: Obama weiß, wie man sich und seine Gastgeber in Szene setzt. Ohne Sakko, aber voller Überzeugungskraft sendete der US-Präsident seine Botschaft von Berlin hinaus in die Welt. Berlin - für Obama einst »eine Insel der Demokratie« und heute ein Symbol dafür, dass »die Freiheit gewonnen hat«. Natürlich vergaß Obama am historischen Ort und zum fast auf den Tag genau historischen Datum nicht, die lange Geschichte der transatlantischen Beziehungen und deren Erfolge zu würdigen. Noch stärker aber betonte er ihre Unverbrüchlichkeit in der Gegenwart über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg. Und auch die Herausforderungen der Zukunft sparte der US-Präsident nicht aus. Vor allem dieser nüchterne Blick nach vorn, frei von jedem übertriebenen Pathos, verlieh seiner Rede die größte Kraft. Ganz viel falsch hatte Obama allerdings sowieso kaum etwas machen können. Dieser US-Präsident hätte wahrscheinlich auch aus einem Berliner Telefonbuch vorlesen können, ohne bei den Deutschen an Ansehen zu verlieren. Seine Beliebtheitswerte sind und bleiben phänomenal. Und sein Heldenstatus scheint unerschütterlich hierzulande. Auch die 4000 handverlesenen Zuhörer am Brandenburger Tor machten keinen Hehl aus ihrer Begeisterung. Das aber sollte über die Differenzen zwischen den USA und Deutschland nicht hinwegtäuschen. Und die sind mannigfaltig, wie die Pressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel am Mittag unübersehbar gezeigt hatte. Das Spähprogramm Prism und die Überlegungen der USA für eine neue Interventions- und Invasionspolitik in Syrien mit Waffenlieferungen an die Rebellen sind die drängendsten Fragen. Doch auch das nach wie vor uneingelöste Versprechen, das Gefangenenlager Guantánamo zu schließen, sowie die fortgesetzte Kritik der US-Amerikaner am Kurs der Europäer in der Euro-Krise belasten das transatlantische Verhältnis. Alle Höflichkeitsadressen, tausende bunte Fähnchen und Wangenküsse ändern daran nichts. Die beiden Pragmatiker Angela Merkel und Barack Obama wissen das am allerbesten. Ihr Realitätssinn bewahrt sie zuverlässig davor, sich irgendwelchen Illusionen hinzugeben. Auch das hat Obamas Besuch in Berlin deutlich gezeigt: Die Weltlage ist kompliziert, und jeder vertritt zuerst seine Interessen. Doch wissen beide Seiten auch, dass sie einander nach wie vor brauchen.
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