Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den Arbeitslosenzahlen im November
Bielefeld (ots)
5000 Arbeitslose mehr als im Oktober, 55 000 mehr als im November des vergangenen Jahres. Und das trotz anziehender Konjunktur. Ist das vielbeschworene deutsche Jobwunder am Ende? Es gibt viele Fakten, die dagegen sprechen. Es gibt aber auch viele Daten, die bei genauem Hinsehen Zweifel an der Qualität des Arbeitsmarktbooms und die Frage der sozialen Gerechtigkeit aufkommen lassen. Die Zahl der Erwerbstätigen ist wieder einmal auf einen neuen Rekordwert geklettert. 42,29 Millionen Menschen sind in Lohn und Brot - ein Plus von 250 000 binnen Jahresfrist. Das liegt auch daran, dass im ersten Halbjahr eine halbe Million Menschen aus Osteuropa und den Euro-Krisenländern zugewandert sind, um in Deutschland ihr Glück zu finden. So ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs rasant gewachsen, zuletzt auf 29,79 Millionen Beschäftigte. Das waren 380 000 mehr als ein Jahr zuvor. Die höhere Zahl an Beitragszahlern und steigende Löhne in vielen Branchen füllen die Sozialkassen kräftig und lassen die Steuerquellen sprudeln: Eindeutige Belege einer boomenden Wirtschaft. Doch hinter all den Rekorden versteckt sich auch eine andere, eine zweite Wahrheit. Die Hälfte des jüngsten Beschäftigungsanstiegs geht auf - sicherlich nicht nur gewollte - Teilzeitjobs zurück. Tendenz steigend. Mehr als jeder fünfte Arbeitnehmer gilt inzwischen als atypisch Beschäftigter. 2,7 Millionen Menschen haben einen befristeten Vertrag. Fünf Millionen arbeiten in Teilzeit. Zweieinhalb Millionen sind Minijobber und 700 000 Leiharbeiter. 1,2 Millionen Arbeitnehmer - 30 000 in OWL - sind als Aufstocker darauf angewiesen, dass der Staat Geld zuschießt, weil der Lohn allein nicht zum Leben reicht. Im Jahr kostet das die Steuerzahler 8,6 Milliarden Euro. Nicht nur die Situation der Berufstätigen und der Arbeitslosen hat sich zuletzt weiter auseinander entwickelt. Auch die Schere zwischen Vollzeitkräften einerseits, die mit stattlichen Tarifsteigerungen am Wirtschaftsaufschwung beteiligt wurden, und andererseits atypisch und außerhalb der Tarifbindung Beschäftigten hat sich weiter geöffnet. Dem Datenreport-Sozialbericht zufolge gilt inzwischen jeder Sechste in Deutschland als armutsgefährdet. Die ungesunde, unsoziale Entwicklung schon zu wirtschaftlich guten Zeiten muss gestoppt und umgekehrt werden. Inwieweit die Mindestlohnregelung der Großen Koalition mit ihren Übergangsfristen dazu geeignet ist, wird die Zeit zeigen. Wie wichtig gute Bezahlung nicht nur heute ist, wird schon jetzt mit Blick aufs Rentenalter deutlich. Denn für die wachsende Zahl der Geringverdiener verstärkt sich die Armutsgefahr im Alter noch. Eine Lebensleistungsrente für langjährige Beitragszahler ist eine erste Antwort. Vieles funktioniert aber nur, solange Konjunktur und Arbeitsmarkt brummen. Ein Plan B ist im Koalitionsvertrag nicht zu erkennen.
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