Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Großen Koalition
Bielefeld (ots)
Das muss man der SPD lassen: Nimmt man ihr deprimierendes Wahlergebnis zum Maßstab, so geht die Partei geradezu gefestigt in die Große Koalition. Sigmar Gabriel ist es in einem knapp drei Monate währenden Kraftakt gelungen, seine Truppe wieder aufzurichten. Fürs Erste hat die SPD nicht nur ihren Frieden mit den schlappen 25,7 Prozent vom 22. September gemacht, sondern auch mit der abermaligen Rolle des Juniorpartners unter einer Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der SPD-Parteichef ist der Gewinner der letzten Wochen und Monate. Er hat die Not in eine Tugend verwandelt und das ihm aufgezwungene Mitgliedervotum zu einem Muster innerparteilicher Demokratie umgedeutet. Das Ergebnis ist so klar wie beeindruckend: Sowohl die hohe Beteiligung der Parteibasis als auch die hohe Zustimmungsquote zur Großen Koalition sprechen eine deutliche Sprache: Diese SPD will regieren. Ein weiteres Plus: Mit Wieder-Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Gabriel selbst als Superminister bietet die Partei in Schlüsselressorts zwei politische Schwergewichte auf. Mit Manuela Schwesig sitzt zudem eine der SPD-Hoffnungsträgerinnen im Kabinett. Wenigstens als nicht vorbelastet gilt der neue Justizminister Heiko Maas. Noch am stärksten folgen die Berufungen von Andrea Nahles und Barbara Hendricks dem parteiinternen Rang-, Geschlechter- und Regionalproporz. Unter dem Strich jedoch verkörpert die SPD-Ministerriege eine Eigenschaft, der man sich bei den Regierungsmitgliedern der FDP zuletzt nie so ganz sicher sein konnte: Ernsthaftigkeit. Freilich bleibt die Stimmungslage der SPD fragil. Die am Wochenende zur Schau gestellte Selbstzufriedenheit hängt an dem Glauben, dass der Koalitionsvertrag, der heute endgültig unterzeichnet wird, wortgetreu Gesetzeswirklichkeit erlangt. Doch dem widerspricht alle politische Erfahrung, erst recht mit Blick auf die bisherigen Regierungen Merkel. So kann dem aktuellen Hoch der Genossen schnell die Ernüchterung folgen, wenn die Union so verfährt, wie sie es in der letzten Legislaturperiode mit den Liberalen getan hat. Damals war der Koalitionsvertrag in weiten Teilen das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt war. Und auch jetzt wieder hat das Gespann Merkel/Schäuble alles unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Das lässt für so manches Gesetzgebungsverfahren heftigen Streit auf der Arbeitsebene erwarten. Diese Regierung hat ihre Opposition schon auf den eigenen Abgeordnetenbänken sitzen. Und dagegen kann die übergroße Mehrheit, die Union und SPD im Parlament haben, gerade nicht schützen. Hier offenbart sich auch der größte strategische Vorteil der Union: Mit der Kanzlerin und dem Finanzminister bleiben die beiden Fixsterne der Regierung unverändert. Auch die Minister Ursula von der Leyen und Thomas de Maizière stärken das Machtzentrum CDU und sind ein Zeichen von Kontinuität. Die spektakuläre und für viele befremdlich wirkende Rochade in ihren Zuständigkeiten ändert daran nichts. Deutlich wird so aber: Fachkompetenz allein bringt keinen Politiker in die Regierung. Erst recht nicht in dieser CDU, die mit Hermann Gröhe lieber einen weiteren Vertrauten Merkels - quasi zum Dank - ins Kabinett holt. Ähnlich gelangt Alexander Dobrindt für die CSU zu Ministerehren. Insgesamt muss die CSU aber als Verlierer im Postenpoker gelten. Hans-Peter Friedrich, der als Innenminister nie zu überzeugen vermochte, erlebt mit dem Wechsel ins Agrarministerium einen Abstieg. Auch kompensiert die Besetzung des Entwicklungshilfeministeriums durch Gerd Müller für die Partei kaum den Verlust des Innenressorts. Vermutlich setzt CSU-Chef Horst Seehofer aber ohnehin voll und ganz auf seinen eigenen Einfluss in Berlin. Fazit: Um die Regierungsfähigkeit dieser Koalition muss man sich keine allzu großen Sorgen machen. Und eine Beurteilung ihrer Regierungstätigkeit kann naturgemäß noch nicht anstehen. Anders ausgedrückt: Für Abgesänge jeder Art ist es zu früh. Und selbst die, denen jede Große Koalition suspekt ist, können zufrieden sein. Denn ein Resultat haben die Bundestagswahl und die folgenden Verhandlungen bereits erbracht, das die neue Regierung bei weitem überstrahlen wird. Die Ausschließeritis hat ein Ende. Schwarz-Grün ist fortan so wenig unmöglich wie Rot-Rot-Grün, von der neuen Bündnisoffenheit einer womöglich wieder auf die Berliner Bühne zurückkehrenden FDP ganz zu schweigen. Und das ist doch schon mal ein schöner Erfolg.
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