Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Demokratie in Deutschland
Bielefeld (ots)
Am 8. Mai hat der Deutsche Bundestag das 65-jährige Bestehen des Grundgesetzes gefeiert. Reden wurden gehalten, es wurde applaudiert, es wurde kritisiert, es wurde bedeutungsschwanger genickt. Und dann? Dann ging alles seinen realdemokratischen Gang. Verhandelt wird weiter in Hinterzimmern, der Wählerwillen wird zum Spielball bei Machtpoker und Postengeschacher, Eigeninteresse geht vor Gemeinnutz. Und das Abhören von drei Millionen Deutschen interessiert den Generalbundesanwalt nicht vorrangig. Er sorgt sich mehr um den Handyempfang der Kanzlerin.
Sie finden, dass sei ein wenig zu viel Stammtisch? Mag sein. Aber man kann davon ausgehen, dass ein Großteil der Deutschen einen ähnlichen Eindruck hat. Mehr als eine Minderheit dürfte sich von den politischen Institutionen nicht als Souverän behandelt fühlen. Man kann den Eindruck gewinnen, Politiker feiern das Grundgesetz, lesen es aber nicht.
Vor der Europawahl wurde die Werbetrommel von den zwei Spitzenkandidaten gewaltig gerührt. Das Erstarken extremer, europafeindlicher Parteien und der Demokratieverdrossenheit (geringe Wahlbeteiligung) sollten so verhindert werden. Das gelang, nicht im berauschenden Ausmaß, die schlimmsten Befürchtungen trafen aber nicht ein. Und was passierte dann: Der Wählerwille sei ja irgendwie wichtig, aber nicht bindend. Oder doch. Oder doch wieder nicht. Hauptsache: Jeder kriegt sein Pöstchen. Ein PR-Gau allererster Güte.
Und während in den Hinterzimmern geschachert wird, wird immer noch durch die technologische Hintertür spioniert. Aber irgendwie juckt das keinen so wirklich. Nicht die Bundeskanzlerin (es sei denn, es geht um ihr Handy), nicht den Bundesjustizminister, nicht den Bundesinnenminister. Zur Erinnerung, deren Amtseid lautet so: »Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.« Und wahlweise mit dem Zusatz: »So wahr mir Gott helfe.«
Bei der Feierstunde für das Grundgesetz waren sich alle einig: So gut und stabil war Demokratie in Deutschland noch nie. Aber der »rüstige Rentner« braucht weiterhin Pflege. Und für die ist nicht nur das Volk zuständig, sondern auch die Volksvertreter. Auf den Punkt brachte es Willy Brandt. Der Kanzler erklärte in seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969: »Die Regierung kann in der Demokratie nur erfolgreich wirken, wenn sie getragen wird vom demokratischen Engagement der Bürger. Wir haben so wenig Bedarf an blinder Zustimmung, wie unser Volk Bedarf hat an gespreizter Würde und hoheitsvoller Distanz. Wir suchen keine Bewunderer; wir brauchen Menschen, die kritisch mitdenken, mitentscheiden und mitverantworten.«
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