Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Flüchtlingspolitik
Bielefeld (ots)
Deutschland ist drauf und dran durchzudrehen. Während die Regierung zerstritten bleibt über die Frage, wie es in der Flüchtlingspolitik weitergeht, schaffen andere Fakten. Mit menschenfeindlichen Taten und verabscheuungswürdigen Worten. Ist das noch unser Land? Nein, das kann nicht unser Land sein! Die Gewalt gegen Flüchtlinge hat sich auch an diesem Wochenende ungebremst fortgesetzt - Überfälle mit Baseballschlägern, wieder Brandanschläge auf Unterkünfte. Und ein demokratisch gewählter Europaabgeordneter sagt ganz ungerührt einen Satz, der jedem zivilisierten Menschen im Halse stecken bleiben müsste: »Wenn man den ersten Schuss in die Luft abgibt, wird deutlich, dass wir entschlossen sind.« Erst Björn Höcke mit seinen demagogischen Auftritten - jetzt Marcus Pretzell, der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen AfD. Es sind kühl kalkulierte Provokationen, immer bis an die Grenze des Erlaubten und oft auch darüber hinaus, die einen fragen lassen: Wo führt das hin, wo soll das enden? CDU, CSU und SPD aber sind voll und ganz mit sich selbst beschäftigt. Es regiert das Chaos. Erst Seehofers Ultimatum an Merkel, nun die Transitzonen der Union gegen die Registrierungszentren der SPD und irgendwie jeder gegen jeden. Im Raumschiff Berlin droht man endgültig abzuheben. Unsere Republik ist auf dem Weg in die Staatskrise und Europa ohne jeden Halt. Dabei geht es gar nicht mehr darum, ob CSU-Chef Horst Seehofer in seiner Partei und in Bayern das Gesicht wahrt. Es geht auch nicht darum, ob sich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel für eine Kanzlerkandidatur in Position bringen kann. Es geht noch nicht einmal darum, ob die eben noch über jeden Zweifel erhabene Bundeskanzlerin Angela Merkel womöglich ihr Amt einbüßt. Nein, es geht um viel mehr: Es geht darum, ob diese Republik jeden Anstand verliert. Und klar ist auch: Aus dieser Debatte wird weder ein Regierungspolitiker persönlich noch eine der drei Regierungsparteien für sich großen Nutzen ziehen können. Im Gegenteil: Der immense Zustrom an Flüchtlingen eignet sich für CDU, CSU und SPD bestenfalls als Verliererthema. Dann nämlich, wenn sich der in Teilen der Bevölkerung bereits bestehende Eindruck verfestigt, dass die Regierung eine große Koalition der Ratlosigkeit ist, die schlicht nicht weiter weiß. Profitieren werden da nur Pegida, AfD und Co. Gewiss, es gibt keine einfache und erst recht keine schnelle Lösung zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Das muss man immer wieder offen sagen. Und trotzdem muss die Politik endlich ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Denn längst gibt es zu viele einfache Losungen. Pretzells »Warnschuss« ist nur das jüngste Beispiel in einer unendlich unsäglichen Reihe. Merkel, Seehofer und Gabriel läuft die Zeit davon. Wehe, wenn ihnen die Menschen davonlaufen: Die Rattenfänger warten schon!
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