Bundestrainer Jürgen Klinsmann exklusiv im Sat.1-Interview: Sollte es nicht gut gehen, schießen sie einen eh auf den Mond.
Berlin (ots)
Am Mittwoch wurde in Frankfurt das DFB-Aufgebot für den Confederations Cup (15. bis 29.6.2005) bekannt gegeben. Exklusiv in Sat.1 sprach Bundestrainer Jürgen Klinsmann in den USA über die derzeitige Situation der Nationalmannschaft:
Das erste Jahr der Klinsmann-Ära ist fast vorbei, wie ist der Stand der Nationalmannschaft? Klinsmann: Ohne Zweifel, es gibt noch viel zu tun. Rückblickend auf die letzten zehn Monate hat sich aber schon sehr viel getan. Die Mannschaft hat verstanden, welche Art von Fußball wir aufbauen und spielen möchten. Das wurde auch größtenteils hervorragend in tollen Spielen umgesetzt. Es hat sich im Umfeld viel getan, paar neue Leute, paar neue Vorgehensweisen, für uns war es wichtig, klare Zeichen zu setzen. Wir freuen uns unheimlich auf den Confederations Cup. Das ist eine Art Test und dient dazu, ein paar Dinge auszuprobieren.
Wie wichtig ist der Confederations Cup? Klinsmann: Er ist wichtig und für uns ein Gradmesser, um zu sehen, ob wir im Stande sind, uns mit den Großen zu messen. Wir können jungen Spielern die Möglichkeit geben, Erfahrungen in der Nationalmannschaft zu sammeln. Vielleicht kommen wir dann zu der Meinung, dass der ein oder andere junge Spieler erst nach der WM 2006 so weit ist. Der Confederations Cup dient auch dazu, die Gemeinschaft weiterzuentwickeln. Wir sind einen Monat zusammen, da ist es auch wichtig, dass sich die Mannschaftschemie weiterentwickelt, dass sich ein gewisser Spirit bildet. Das hat sich z. B. auf der Asien- Reise im Dezember schon toll entwickelt. Daran wollen wir weiter arbeiten.
Einerseits bezeichnet man Sie als Retterungsanker der Nationalmannschaft, andererseits gibt es auch kritische Stimmen... Klinsmann: Das ist normal, weil die Arbeit eines Nationaltrainers immer enorm kritisch betrachtet wird. Jedem gehört ja auch ein Stück dieser Nationalmannschaft, also meint auch jeder, er kann seine Meinung dazu abgeben. Das ist für mich gar kein Problem. Letztendlich stehen wir in der Verantwortung, die Nationalmannschaft für die WM wettbewerbsfähig zu machen. Wenn ab und zu mal ein Querfeuer kommt, dann brennts eben einen Moment.
Auch bei Bayern-Manager Uli Hoeneß steht Klinsmann oftmals in der Kritik. Wie geht der Bundestrainer damit um? Klinsmann: Er motiviert mich. Er sagt immer, ich muss erst beweisen, dass ich ein guter Bundestrainer bin. Da hat er Recht. Wir haben eine gesunde Basis, aber wir werden an der WM gemessen. Das ist der Gradmesser weitere Diskussionen, ob Jürgen Klinsmann nach 2006 noch Bundestrainer ist, erübrigen sich. Das wird sich allein aus der WM heraus ergeben. Wir haben die Möglichkeit, in unserem eigenen Land, mit unseren Fans im Rücken Weltmeister zu werden. Sollte es nicht gut gehen, schießen sie einen eh auf den Mond.
Ein häufig genannter Kritikpunkt ist Ihr Wohnsitz in den USA. So fordert bespielsweise Paul Breitner, dass Sie vor der WM 2006 in Deutschland leben. Klinsmann: Diese Diskussion wird aus einer falschen Blickweise betrieben. Ich halte mich ständig in Deutschland auf, ich bin alle zwei Wochen da. Das Pendeln zwischen Kalifornien und Deutschland funktioniert ohne Probleme. Ich habe auch eine gewisse Verantwortung meiner Familie gegenüber. Im Frühjahr 2006 bin ich natürlich ständig vor Ort. Man muss zwischen der Arbeit eines Vereinstrainers und eines Bundestrainers differenzieren. Im Frühjahr 2006 muss ich schauen, was unsere Gegner machen. Ich muss mich vielleicht bei unseren Gegnern der Vorrunde rumtreiben. Muss schauen, welche Spiele diese Länder bestreiten. Vielleicht muss ich nach Südamerika, Asien oder nach Afrika reisen, ja nachdem wer uns zugelost wird. Auch in Bezug auf das Achtel- und hoffentlich Viertelfinale. Manche Leute machen es sich mit solchen Kommentaren zu einfach. Was die Umsetzung betrifft, muss man mir ein bisschen Freiheit lassen.
Wie sieht die Weiterentwicklung des Fußballs in Deutschland aus? Klinsmann: Es ist es wichtig, dass wir eine Bestandsaufnahme machen, weil das Ausscheiden unserer Clubs auf internationaler Ebene viel zu früh kam. Das hat seine Gründe, weil sich der Fußball in anderen Ligen enorm weiterentwickelt hat, was das Tempo betrifft. Das war auch unser Malheur bei der EM 2004, wir konnten das Tempo anderer Nationen nicht mitgehen. Dagegen müssen wir was tun. Wir müssen uns fragen, wie können wir das aufholen, wie können wir uns nicht nur auf dem gleichen Niveau messen, sondern sie wieder überholen. Generell wird es durch die hohen körperlichen Anforderungen den Top- Spielern immer schwerer gemacht, sich gegen gute Jungs durchzusetzen. Leute wie Figo haben heute einen ganz schweren Stand. Vor 10 bis 15 Jahren war es noch einfacher, das Spiel umzubiegen oder durch eine Aktion zu entscheiden. Die Ausbildung der Spieler steht immer mehr im Vordergrund. Egal, welches Spielermaterial ich zur Verfügung habe, ich muss versuchen, aus jedem Spieler das Beste herauszuholen. Wir haben in den vergangenen zehn Monaten eine interessante Beobachtung gemacht: Unsere Nationalmannschaftsspieler könnten alle noch 20 bis 30 Prozent mehr aus sich herausholen, egal wo sie jetzt spielen. Das ist das Faszinierende an unserer Arbeit.
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