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Der Tagesspiegel

Pressestimmen: zum Thema Stasi-Vorwürfe gegen Forschungsdirektor der Stiftung Weimarer Klassik

Berlin (ots)

Von Benedict Maria Mülder
Neue IM-Vorwürfe gegen den Direktor für Forschung und Bildung der
Stiftung Weimarer Klassik, Lothar Ehrlich, überschatten die heute in
Weimar beginnende Konferenz zum 50. Jubiläum der Stiftung. Oder
genauer: zum Geburtstag ihrer DDR-Vorläuferorganisation, der
Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen
Literatur in Weimar (NFG). Nach den Unterlagen der Bezirksaußenstelle
Erfurt der Birthler-Behörde soll sich ein von der Stasi am 10. April
1987 als "IME Mollfels" registrierter inoffizieller Mitarbeiter 1987
und 1988 mehrfach mit seinem Führungsoffizier Karl-Heinz Driske in
einer konspirativen Wohnung getroffen haben. Laut Registrierkarte
handelt es sich dabei um Lothar Ehrlich. Die Wohnung wiederum
firmierte unter dem Decknamen "Wilhelmsburg" und gehörte einem
Lehrerehepaar, das sich 1986 zur Zusammenarbeit mit dem Ministerium
für Staatssicherheit verpflichtet hatte.
Lothar Ehrlich, Organisator der heute beginnenden Weimarer Tagung,
zeigte sich auf Anfrage des Tagesspiegels "entsetzt und überrascht"
über die neuerlichen Vorwürfe. Er halte sie für erledigt, seit er aus
der traditionsreichen Goethe-Gesellschaft ausgetreten sei, deren
Vizepräsident er lange war. Darüber hinaus bestreitet Ehrlich
vehement, jemals in einer konspirativen Wohnung gewesen zu sein: "Das
ist gelogen, das höre ich zum ersten Mal", betonte er. Den Namen
"Wilhelmsburg" habe er nach Lektüre der Akten bislang lediglich als
Bezeichnung für das Weimarer Schloss seinem damaligen Arbeitsplatz,
verstanden. Er sei nie Mitarbeiter des MfS gewesen, habe von der
Stasi weder Geld noch Präsente erhalten und auch keine
Verpflichtungserklärung unterschrieben. Kontakte mit MfS-Abgesandten
in den Dienstzimmern des Schlosses, räumte er ein, hätten sich
angesichts seiner Position in der Leitung des NFG von selbst ergeben.
Als IM sei er aber ohne sein Wissen geführt worden.
Ehrlich war 1978, wie er selbst sagt, "spät und als fragwürdiger
Intellektueller" in die Partei eingetreten. Acht Jahre später galt er
als so linientreu, dass man ihn laut MfS-Empfehlung getrost als
Reisekader in den Westen schicken konnte. Ein von Ehrlich in Erfurt
aufgeführtes Grabbe-Stück mit dem Titel "Scherz, Ironie und tiefere
Bedeutung" brachte ihm zunächst den mit seinem Namen verbundenen "IM-
Vorlauf Grabbe" ein, der 1987, parallel zu seinem Aufstieg zum ersten
stellvertretenden Direktor der nationalen Forschungs-Institution, in
"IME Mollfels" geändert wurde: Mollfels ist eine Figur aus Grabbes
Stück. IM Grabbe war gemeinsam mit anderen Angestellten der
Goethe-Gesellschaft und der NFG in die operative Personenkontrolle
"Mephisto" eingebunden, eine Maßnahme gegen den amtierenden
Präsidenten der Gesellschaft, Karl-Heinz Hahn. Die Gespräche in der
"Wilhelmsburg" gaben laut Aufzeichnung seines Führungsoffiziers
Driske Informationen über den Plan einiger Erfurter Schauspieler
preis, nach dem Vorbild des Berliner Theaters "Zinnober" eine
eigenständige Theatergruppe zu gründen. Driske gab diese Hinweise an
die Zentrale in Berlin weiter. Mollfels informierte außerdem über
Interna aus der Goethe- Gesellschaft, über Reisepläne des Präsidenten
Hahn nach West-Berlin, oder im März 1988 über eine Erfurter
Opernsängerin und den Direktor der Oper. Schließlich habe er
anlässlich einer Silbernen Hochzeit, so Driskes Notizen, auch über
zwei Familien mit "guten Kontakten zur französischen und
amerikanischen Botschaft in der DDR" berichtet. Fortan wurden diese
Familien verstärkt von der Stasi beobachtet.
Ehrlich beharrt darauf, dass er den "Gesprächen und Begegnungen
mit dem MfS dank seiner dienstlichen Stellung" nicht habe ausweichen
können. Die von Oberleutnant Driske aufgezeichneten Informationen
habe er jedoch nicht geliefert. Sie seien von dem Stasimann erfunden
oder anderen Informanten zuzuordnen. Er erinnerte sich allerdings
daran, dass es im Zusammenhang mit angeblichen Ausreiseplänen des
langjährigen Goethe-Präsidenten Karl-Heinz Hahn in die Bundesrepublik
- denen die Wende zuvor kam - Probleme gegeben habe, über die er mit
dem MfS gesprochen habe. "Aber ich habe Hahn nicht ans Messer
geliefert," versichert er.
Noch ist das gesamte Ausmaß der "Mollfels"-Informationen nicht
bekannt. Der gleichnamige IM war jedenfalls, das legen weitere
Aktenfunde nahe, für die Spionageabteilung der Bezirksverwaltung
Erfurt von besonderem Wert. Laut Vermerk kam er für den "Aufbau
perspektivvoller, stabiler Verbindungen zu legalen Basen", das waren
etwa westdeutsche Journalisten oder westdeutsche Mitglieder der
Goethegesellschaft, in Frage.
Unter dem Eindruck der Vorwürfe gab Ehrlich gegenüber dem
Tagesspiegel seine Bereitschaft zu verstehen, auf der Konferenz über
die SED- und Stasi-Verstrickungen der NFG zu sprechen - statt über
den 1967 von der SED intern geführten "Krieg" um das Weimarer
Schloss. Er verwahrte sich dagegen, mit der Veranstaltung im Namen
Goethes "Ostalgie" betreiben zu wollen. Ihm gehe es darum, "die
Entwicklung der Weimarer Klassikerstätten im Horizont der deutschen
Politik- und Kulturgeschichte unter Einschluss des
Transformationsprozesses nach der Wende" zu beleuchten. Die DDR habe
"im Goetheschen Sinne Aufklärung und Humanitas im Dienste des neuen
Menschen und eines neues Staates" demonstrieren wollen.
An Aufklärungsbereitschaft mangelte es in den eigenen Reihen
bisher jedoch. Erst seit dem vergangenen Jahr, zwölf Jahre nach der
Wende, sind der SED-Forschungsverbund der Berliner Freien Universität
und Heinrich August Winkler von der Humboldt-Universität offiziell
beauftragt, den Zugriff von SED und Stasi auf die Goethe-
Gesellschaft und die NFG zu untersuchen. Ehrlich kündigte an, mit den
Historikern zusammenarbeiten zu wollen. Sein Vorgesetzter Hellmut
Seemann, Stiftungspräsident der Weimarer Klassik, war trotz
mehrfacher Anfragen für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Inhaltliche Rückfragen Kultutrredaktion, Tel. 030/26 009 445
ots-Originaltext: Der Tagesspiegel

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Thomas Wurster
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Telefon:030-260 09-419
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