Stuttgarter Nachrichten: Charlotte Knobloch: "Keine Tanzveranstaltung auf den Gräbern der NS-Opfer"
Stuttgart (ots)
Die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, begrüßt, dass der Landespresseball Baden-Württembergs am heutigen Jahrestag der Reichspogromnacht 1938 zu einer Gala umgewidmet wird. Ursprünglich war eine Tanzveranstaltung geplant, die wegen des Protests vor allem jüdischer Verbände jetzt ausfällt. Den Stuttgarter Nachrichten (Freitag) sagte Charlotte Knobloch: "Ich habe mit Ministerpräsident Günter Oettinger telefoniert und ihm mein Entsetzen darüber mitgeteilt, dass man den 9. November dermaßen missbraucht und eine Tanzveranstaltung auf den nicht vorhandenen Gräbern jener Menschen durchführt, die ihr Leben durch die Willkür des damaligen NS-Staates lassen mussten. Das habe ich ihm klar gesagt." Dass nun ein Abendessen "mit sehr leiser Hintergrundmusik" stattfindet, ist für Knobloch "ein gangbarer Weg, weil ich davon ausgehe, dass speziell dieses Thema damit ausgeräumt ist."
An diesem Freitag wird in zahlreichen Städten der Reichspogromnacht am 9. November 1938 gedacht, in der die Nationalsozialisten in ganz Deutschland Synagogen zerstörten und zahlreiche Juden ermordeten. Genau an diesem Tag sollte der Landespresseball stattfinden, dessen Schirmherr Oettinger ist. Mit Blick auf die Filbinger-Rede Oettingers, der den früheren Marine-Richter und späteren Ministerpräsidenten als Nazi-Gegner bezeichnet hatte, griff Knobloch Oettinger scharf an: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Ministerpräsident, einer der höchsten Vertreter seiner Partei, wiederholt in ein solches Fettnäpfchen tritt - dass er sich nicht besser vorbereitet hat." Sie hoffe sehr, dass er für sich selbst eine Erinnerungskultur pflege, die im Einklang steht mit der, die sich in Deutschland bewährt hat. "Der Ministerpräsident sollte sich korrekt an die Verbrechen der Nazi-Zeit erinnern."
Dass in den letzten Wochen die Moderatorin Eva Herman das NS-Familienbild lobte, ein Bistumssprecher Äußerungen der Grünen-Vorsitzende Claudia Roth faschistoid nannte und Kardinal Meisner gottesferne Kunst als entartet bezeichnete, kommentiert Frau Knobloch: "Diese Vokabeln treten in letzter Zeit mit einer gewissen Häufung auf. Mich wundern die Äußerungen, weil ich zumindest von den hier beteiligten Personen ein gewisses Geschichtsbewusstsein erwarte." Durch das NS-Vokabular würden mit Absicht ganz bestimmte Bevölkerungsgruppen angesprochen. Aber auch einer unbedarften Person wolle sie nicht den Freibrief ausstellen, dass sie zu naiv ist. "Um Kritik zu üben, steht nun wirklich ein großer Sprachschatz zur Verfügung - da muss sich niemand in Verdacht bringen, vorsätzlich mit NS-Vokabeln zu handeln." Die Distanz zur NS-Vergangenheit sei sehr weit fortgeschritten. Knobloch: "Darum müssen wir auch jungen Menschen Verantwortung für die deutsche Vergangenheit überlassen - schließlich wird es Zeitzeugen in absehbarer Zeit nicht mehr geben."
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