Lausitzer Rundschau: Wer sind die Guten? Zwischen moralischer Instanz und Steuerhinterziehung
Cottbus (ots)
Drei Fälle an einem Wochenende. Alice Schwarzer, Begründerin des modernen Feminismus. Artur Brauner, Verfolgter des Naziregimes, Vater des deutschen Nachkriegsfilms. André Schmitz, Berliner Kulturstaatssekretär, Sozialdemokrat, Feingeist. Moralische Größen alle drei. Aber auch Steuerhinterzieher. Im Bild der meisten Bürger ist dieses Delikt bösen Pfeffersäcken aus der Wirtschaft vorbehalten, Leuten wie Klaus Zumwinkel, Postchef, oder Uli Hoeneß, Wurstfabrikant, die den Hals nicht voll kriegen können. Aber wer sind die Guten? Die gebe es gar nicht, heißt es nun fast entschuldigend. Steuerhinterziehung sei eben ein Volkssport. Falsch. Das gemeine Volk kann mangels Masse gar keine Steuern hinterziehen. Seine "Gestaltungsmöglichkeiten" sind meist darauf beschränkt, ein wenig bei der Entfernung zur Arbeitsstelle aufzurunden. Steuerhinterziehung ist ein Oberschichtensport, wie Golf oder Polo, man muss ihn sich leisten können. Man muss, um wie Alice Schwarzer nur auf Zinsen eine Steuerschuld von 200 000 Euro in zehn Jahren aufgehäuft zu haben, den Zinseszinseffekt eingerechnet, rund 500 000 Euro Zinsen bekommen haben. Das sind 50 000 Euro jährlich. Die erhält man nur ab einem versteckten Vermögen von einer Million Euro aufwärts. Alice Schwarzer ist reich. In vielen der jetzt und bereits früher bekannt gewordenen Fälle geht es um die Hinterziehung der Steuern auf Zinsen, die ein in einer Steueroase verstecktes Vermögen abwirft, das daheim zuvor vielleicht sogar versteuert worden ist. Das senkt das Unrechtsbewusstsein erst recht. Die Betreffenden empfinden diese Zinsen als Belohnung für die eigene Lebensleistung. Nicht einmal die mickrigen 25 Prozent Abgeltungssteuer wollen sie daher auf dieses Einkommen zahlen. Motto: Dieser Goldesel gehört endlich mal mir allein. Normalen Gehaltsbeziehern ist ein solches Denken freilich nicht möglich. Da gibt es keine Zinsen, bloß Abzüge. Erstaunlich ist, wie lange Schwarzer, Brauner und Schmitz, die sehr informierte Menschen sind, trotz diverser Steuer-CDs gewartet haben, ob es auch sie erwischt. Gier essen Verstand auf, um einen alten Filmtitel abzuwandeln. Die Parallele zu manch prominenten Stasi-Fällen sticht bei diesem Aspekt ins Auge. Die Betroffenen wussten um die Überprüfungen, sie sahen die näher kommenden Einschläge, sie wussten, dass sie irgendwann erwischt werden würden. Und hofften doch bis zuletzt, übersehen zu werden. Alices Schwarzer klagt nun über die öffentliche Enthüllung, nennt sie "Denunzierung". Eine moralische Instanz besteht jetzt auf ihr Recht auf ein Doppelleben. Eine Journalistin macht sich zum Opfer der Presse. Sehr komisch ist das. Aber nicht witzig.
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