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WAZ: Zeit, dass sich was dreht - Kommentar von Jürgen Polzin

Essen (ots)

Der Ekel macht Beine. Wieder schwärmen sie aus, die
Mitarbeiter der Soko Gammelfleisch, um im Bodensatz der 
Lebensmittel-Branche zu wühlen. Lkw werden gestoppt, Kühlhäuser 
gefilzt, Lieferlisten beschlagnahmt. Der tägliche Fahndungserfolg 
wird in Tonnen verkündet. Irgendwann heißt es, dass nun alles 
grünlich-Ekelhafte beschlagnahmt ist. Was noch fehlt, wurde wohl 
verzehrt. Irgendwann wird die Staatsanwaltschaft dann Klage erheben. 
Alltag in Deutschland. Eine ekelhafte Routine.
Was für ein jämmerliches Bild. Zwischen Bund und Kommunen wird 
nun die Verantwortung für den jüngsten Fleischskandal hin- und 
hergeschoben. Verbraucherminister Horst Seehofer klagt bitterlich, 
dass die Bundesländer nicht mitziehen. NRW-Minister Eckhard Uhlenberg
fordert retour strengere Strafen, hat aber auch keine anderen 
Antworten parat. Und bei Bayerns Verbraucherminister Werner 
Schnappauf muss man sich fragen, ob es Hilflosigkeit oder eine 
bewusste Verdummung der Verbraucher war, als er trotz der ellenlangen
Pannenserie seiner Behörden sagte: "Hundertprozentige Sicherheit gibt
es nicht."
Eine bodenlose Übertreibung. Wer Panscher, profitgierige 
Fleisch-Makler und gewissenlose Verarbeiter dazu einlädt, den 
Verbraucher zu betrügen, der sollte nicht von Sicherheit sprechen, 
egal welche Prozentzahl er voranstellt. Innerhalb eines Jahres sind 
in Deutschland ein halbes Dutzend Fleischskandale aufgeflogen, mit 
viel Glück und nur dank der Zivilcourage aufmerksamer Beobachter. Was
alle Skandale eint: Es sind eben nicht die "schwarzen Schafe", eben 
keine Einzeltäter, die am Werk sind. Gammelfleisch hat System: Da 
wird umetikettiert, umgeladen, verarbeitet. Durch viele Hände ist das
ranzige, stinkende Fleisch gewandert. Und in etlichen Kühlhäusern lag
es über Jahre. Das ist Betrug mit System.
Man kann aber auch sagen: Das System schreit nach Betrug. Wenn 
überführte Unternehmen die Strafe aus der Portokasse zahlen, wenn 
Pfuscher nicht fürchten müssen, beim Namen genannt zu werden, wenn 
Bundesländer Kontrolleure einsparen und statt dessen an die Branche 
appellieren, bitteschön ehrlich zu sein und Verstöße anzuzeigen, dann
fragt man sich, was eigentlich noch passieren muss, ehe 
eingeschritten wird. So kann es und so darf es nicht weitergehen.
Offenheit? Als vor zehn Monaten in NRW Gammelfleisch 
beschlagnahmt wurde, nannten die Behörden die Namen der 
verarbeitenden Betriebe nicht. Die Furcht vor Schadensersatzklagen 
war größer als die Rücksicht auf das Ekelgefühl und Gesundheit des 
Supermarktkunden. Das sagt eigentlich alles über ein System der 
Lebensmittelkontrolle, das gammelig geworden ist.

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Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de

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