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Mittelbayerische Zeitung: Immer schön friedlich
Die ostdeutschen Massenproteste gegen das SED-Regime vor 25 Jahren haben noch heute Bedeutung. Leitartikel von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

Lasset die Geister aufeinander prallen, aber die Fäuste haltet stille, meinte einst der Kirchen-Reformator Martin Luther. Rund 450 Jahre bevor auf Leipzigs Straße die Protestbewegung gegen die SED-Herrschaft in Ostdeutschland in eine friedliche Revolution mündete, gab der große Wittenberger und ehemalige katholische Mönch der Volksbewegung das Motto vor. Ohne das auch nur ahnen zu können. Heute wird in Leipzig, seinerzeit als "Heldenstadt" gefeiert, der Geschehnisse vor einem Vierteljahrhundert gedacht. Bundespräsident Joachim Gauck, selbst ein Bürgerrechtler, der seinerzeit im Widerstreit mit der DDR-Staatsmacht stand, wird eine Rede zu Demokratie und Freiheit halten. Kirchenglocken werden läuten. Es gibt Ausstellungen, Gespräche mit Zeitzeugen, denn die junge Generation kennt die Ereignisse von damals nur noch vom Hörensagen und aus dem Unterricht. Sich selbst ein Bild über die jüngere Geschichte, über die einzige friedliche Revolution in Deutschland zu machen, ist so enorm wichtig. So wahnsinnig viele Ereignisse, auf die die Deutschen stolz sein können, hat die Geschichte nicht. Eingeklemmt in die Feiern zum Tag der Einheit am 3. Oktober, der seinerzeit ziemlich selbstherrlich vom "Kanzler der Einheit" Helmut Kohl festgesetzt wurde, und den Festivitäten, die es zum 25. Jahrestag der Öffnung der Mauer in Berlin am 9. November geben wird, verblasst der 9. Oktober von Leipzig. Völlig zu Unrecht. Denn an diesem Tag fiel die Entscheidung über das Schicksal der friedlichen Revolution. Die Diktatur einer Alt-Herren-Clique an der SED-Spitze wurde durch den mutigen Protest von Tausenden einfach davon gefegt. Man kann es sich in der alten Bundesrepublik kaum noch vorstellen, doch bis zu jenem Tag erforderte es enormen Mut, auf die Straße zu gehen und seinen Protest zu artikulieren. Eine gewaltsame "Lösung" nach Art des Platzes des Himmlischen Friedens von Peking war durchaus möglich - und von Erich Honecker, dem altersstarrsinnigen SED-Chef, offenbar auch gewollt. Es waren zwei Dinge, mit denen die martialisch aufgerüstete Staatsmacht damals nicht rechnete: Erstens mit der absoluten Friedfertigkeit der Demonstranten. Und zweitens mit ihrer großen Zahl. Mit ein paar Hundert Regimegegnern und Bürgerrechtlern wären Polizei und DDR-Geheimdienst fertig geworden, aber nicht mit Zehntausenden, die noch dazu Kerzen in den Händen trugen. Die sanfte Gewalt von vielen Tausend hat das morsche DDR-System in sich zusammen stürzen lassen. Nicht zu vergessen, dass der Moskauer Reformer Michail Gorbatschow für einen historischen Moment das Fenster für den Wind der Veränderung, geöffnet hatte. Der mutige Protest von Hunderttausenden, allen voran Bürgerrechtler und die beherzte Politik von Helmut Kohl haben die sich plötzlich eröffnende Möglichkeit zur deutschen Einheit wirklich werden lassen. Dass der Alt-Kanzler das Verdienst der Revolutionäre im Osten in Wirklichkeit schmäht, mag damit zu tun haben, dass er seinen Anteil an der Geschichte erhöhen will. Solcherlei Kleinlichkeit kratzt etwas am Image des verdienstvollen Einheitsmachers. Die Bilder der friedlichen Revolution vor 25 Jahren passen freilich so gar nicht zu den gewalttätigen Protesten, die wir heute auf deutschen Straßen erleben müssen. Wenn etwa Anhänger von Islamisten, Salafisten prügelnd gegen friedliche Demonstranten vorgehen. Mit Meinungsfreiheit hat das nichts zu tun. Auch heute sind Bürgersinn, Bürgerbeteiligung und wo es angebracht ist, auch heftiger Protest, gefragt. Aber immer schön friedlich. Auch das lehrt Leipzig.

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