Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Erika Steinbach:
Bielefeld (ots)
Wer noch Zweifel daran hatte, dass die Union ein Problem mit sich selbst hat, dem lieferte Volker Kauder gestern den Beweis. Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion erklärte mehrfach, dass es für CDU und CSU keinen Zweifel an der Schuld der Deutschen am Zweiten Weltkrieg gebe. Das ist ein Vorgang, über den man etwas länger nachdenken sollte: Der Vertreter einer Partei in der Tradition von Vorkämpfern der europäischen Einigung wie Konrad Adenauer und Helmut Kohl hält es für notwendig, das In- und Ausland einer Selbstverständlichkeit der bundesdeutschen Politik seit Kriegsende zu versichern. Zu verdanken hat die Union diesen Skandal zum einen Erika Steinbach, die zwei Mitglieder des Bundes der Vertriebenen pauschal in Schutz nimmt. Dabei wäre es nicht nur in diesem Fall ihre Aufgabe gewesen, Revisionismus aus den eigenen Reihen zurückzuweisen und zweideutige Äußerungen zur deutschen Geschichte zu unterbinden. Besonders schwer wiegt Steinbachs Versäumnis, weil die umstrittenen Aussagen auch noch von Funktionären kommen, die als Mitglieder für den Beirat der Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« benannt sind. Wer es gut mit ihr meint, mag den Grund für das Verhalten der 67-Jährigen in falsch verstandener Loyalität zu dem von ihr geführten Verband sehen. Recht nahe liegt jedoch auch der Gedanke an eine gezielte Provokation in Richtung Polen. Zu tief waren die Verletzungen, die ihr von dort bei der Auseinandersetzung über den Stiftungsbeirat zugefügt wurden. Solches Kalkül ist Erika Steinbach allerdings derzeit nicht nachzuweisen. Die Mitschuld der Union wird durch die kolportierte Forderung Steinbachs in der Klausurtagung deutlich, man müsse sich vor die Vertriebenenfunktionäre stellen, weil diese doch CDU-Mitglieder seien. Zu lange hat die Union genau diese Sichtweise gepflegt, hat den Bund der Vertriebenen verteidigt, auch wenn die Äußerungen mancher Vertreter historisch unhaltbar waren. Zu groß war die Sorge um Wähler, die man in großer Zahl hinter diesem Verband wähnte, obwohl jener längst mit Mitgliederschwund zu kämpfen hat und beileibe nicht mehr als Sprachrohr aller Vertriebenen angesehen werden kann. Die Abkehr von dieser Haltung ist in der CDU, die Kanzlerin Merkel so gerne mit den Attributen modern, weltoffen und familienfreundlich versehen möchte, schon einige Zeit zu beobachten. Doch kommuniziert bis in die letzte Ortsunion ist dieser Kurswechsel nicht. Insofern hat Steinbach Recht mit ihrer Einschätzung, im Vorstand eine Alibifunktion zu erfüllen. Die Auseinandersetzung mit der Funktionärin über den Revanchismus in ihrem Verband könnte die Klärung des Richtungsstreits zwischen Konservativen und Modernisierern in der Union beschleunigen. Welches Bild CDU und CSU danach abgeben werden, ist ungewiss. Die deutsche Kriegsschuld jedoch, die wird bleiben.
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