CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Koschyk: Deutsch-polnischer
Nachbarschaftsvertrag - Meilenstein mit Defiziten
Berlin (ots)
Anlässlich des 10. Jahrestages der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages vom 17. Juni 1991 gab der Vorsitzende der Arbeitsgruppe "Vertriebene und Flüchtlinge" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hartmut Koschyk MdB, der polnischen Nachrichtenagentur PAP folgendes Interview:
PAP:
Hat sich der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag vom 17.06.1991 in den vergangenen 10 Jahren bewährt? In welchen Bereichen kann man von Erfolg sprechen, auf welchen Gebieten sind die Bestimmungen des Vertrages bis heute nicht erfüllt worden?
Koschyk:
Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag ist ein Meilenstein in den bilateralen Beziehungen und hat sich in seinen Grundzügen bewährt. Der Vertrag führte zu einer Förderung und Vertiefung freundschaftlicher deutsch-polnischer Beziehungen, zu einer Belebung des Jugendaustausches, der regionalen Zusammenarbeit und zu einer Förderung der Integration Polens in europäische und transatlantische Strukturen. Darüber hinaus markierte er gerade bei der Frage der deutschen Minderheit in Polen einen Wendepunkt in den deutsch-polnischen Beziehungen, der bereits durch die am 14. November 1989 von Bundeskanzler Helmut Kohl und dem polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki unterzeichnet Gemeinsame Erklärung eingeleitet worden war.
PAP:
Welche Handlungen auf der polnischen Seite halten Sie in der nächsten Zukunft für besonders dringend?
Koschyk:
Allerdings gibt es beim Vollzug des Nachbarschaftsvertrages Defizite, die im Rahmen des guten deutsch-polnischen Nachbarschaftsverhältnisses offen angesprochen werden müssen. Im Sinne des Geistes des Vertrages halte ich es für erforderlich, dass diese Fragen in absehbarer Zeit einer Lösung zugeführt werden. Ich meine hier vor allem
- die Notwendigkeit einer abschließenden Bestandsaufnahme und baldigen Rückführung kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter,
- die Einführung topographischer Bezeichnungen in Siedlungsgebieten der deutschen Minderheit in Polen auch in deutscher Sprache, was nach dem am 8. Mai 2000 in Kraft getretenen Gesetz über die polnische Sprache möglich ist, wonach "Namen und Texte in polnischer Sprache (...) auch (...) durch fremdsprachliche Übersetzungen ergänzt werden (können)",
- eine humanitäre Lösung durch die Regierungen beider Länder zugunsten von Rentenempfängern der deutschen Minderheit, die aufgrund der Nichtanerkennung deutscher Wehrdienstzeiten, Zeiten der Kriegsgefangenschaft und Zeiten in polnischen Internierungs- und Arbeitslagern nach 1945 im polnischen Rentenrecht nur eine geringfügige Rente erhalten,
- die Erarbeitung eines Sofortprogramms durch die Regierung beider Länder, das für die nächsten Jahre konkrete Schritte zur Ausweitung des muttersprachlichen Unterrichtes für die deutsche Minderheit in Polen vorsieht,
- die Möglichkeit, dass sich deutsche Bürger im Hinblick auf die Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union in Polen niederlassen und dass sie dort ungehindert Immobilien erwerben können, und
- die stärkere Einbeziehung der Anliegen der deutschen Heimatvertriebenen, der deutschen Minderheit in der Republik Polen und der in Deutschland lebenden Polen bei den regelmäßigen Konsultationen über eine Weiterentwicklung und Vertiefung der bilateralen Beziehungen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in einem Antrag die hier von mir genannten Defizite aufgezählt und die Bundesregierung aufgefordert, sich gegenüber der polnischen Seite für eine Lösung einzusetzen. Dieser Antrag hat zwar im Deutschen Bundestag keine Mehrheit gefunden. Die Bundesregierung und andere Fraktionen haben in der Debatte vom 11. Mai 2001 jedoch diese Anliegen für berechtigt erklärt. Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, sie gegenüber der polnischen Seite anzusprechen.
PAP:
Was verstehen Sie unter dem Recht auf Niederlassungsfreiheit für deutsche Heimatvertriebene? Handelt es sich um die Möglichkeit, eine Wohnung bzw. ein Haus mit Grundstück zu kaufen, oder sollten die polnischen Behörden besondere Erleichterungen für diese Gruppe schaffen?
Koschyk:
In dem Briefwechsel zum deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag wird erklärt, dass die polnische Seite in Anbetracht eines polnischen Beitritts zur Europäischen Union zunehmend Möglichkeiten schaffen wolle, auch deutschen Bürgern eine Niederlassung in der Republik Polen zu erleichtern, wenn sie dies wünschen. Diese zugesagte Bereitschaft der polnischen Seite darf die deutschen Heimatvertriebenen nicht ausschließen. Es dient der Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen, wenn die polnische Seite sensibel mit dem Wunsch deutscher Heimatvertriebener umgeht, in ihrer alten Heimat Immobilien erwerben zu können.
PAP:
Wird die Vermögensfrage, die vom Nachbarschaftsvertrag ausgeschlossen wurde, in der Zukunft eine Rolle in den deutsch-polnischen Beziehungen spielen? Sollte Polen im Reprivatisierungsgesetz dieses Problem berücksichtigen oder in einer anderen Form das anpacken?
Koschyk:
Die Eigentums- und Vermögensfrage ist durch den Nachbarschaftsvertrag unberührt geblieben. Die damalige ebenso wie die gegenwärtige Bundesregierung konnte in dieser Frage keinen Verzicht aussprechen. Andere ostmittel-, südost- und nordosteuropäische Staaten wie Ungarn, Kroatien, Rumänien sowie die baltischen Staaten haben diesbezüglich bereits symbolische Maßnahmen ergriffen. Polen könnte die völkerrechtlich offene Eigentums- und Vermögensfrage dadurch entkrampfen, dass es zu symbolischen Gesten gegenüber den deutschen Heimatvertriebenen bereit wäre. Die große Mehrheit der Heimatvertriebenen denkt realistisch und weiß, dass man der polnischen Seite dabei nichts Unmögliches abverlangen kann. Auch eine offizielle Anerkennung des erlittenen Vertreibungsunrechts und eine moralische Rehabilitierung durch die polnische Seite würden zu einer Entspannung der offenen Eigentums- und Vermögensfrage beitragen.
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