Schwäbische Zeitung: Deckung für die offene Flanke - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Die Eurokrise, die FDP-Krise, die Wulff-Krise. Diese Schlagzeilen haben die Ereignisse in Nordafrika beziehungsweise in der arabischen Welt etwas in den Hintergrund gedrängt. Außenminister Guido Westerwelle tut dennoch gut daran, die Region jetzt zu besuchen. Spektakuläre Ergebnisse sind zwar kaum zu erwarten, dennoch ist es für Deutschland wichtig, Flagge zu zeigen und im vertraulichen Hintergrundkreis Position zu beziehen.
Die Visite ist schwierig, denn die vormals offenen Türen haben bereits andere eingerannt. Die ungeschickte Libyen-Politik Westerwelles vor dem Sturz von Ex-Machthaber Gaddafi hat nicht nur Spuren bei den Nato-Partnern hinterlassen, sie hat für langanhaltende Missstimmung bei Mitgliedern des libyschen Übergangsrates gesorgt, und das ungeachtet öffentlicher Beteuerungen. Frankreichs Präsident Sarkozy, der britische Premier Cameron oder der türkische Regierungschef Erdogan wollten und wollen von dieser offenen Flanke der deutschen Außenpolitik profitieren. Auf ihren Reisen nach Tripolis wurden sie von großen Wirtschaftsdelegationen begleitet, vor politischen Versprechungen wurde nicht zurückgeschreckt.
Doch es geht nicht nur um Libyen oder die ebenfalls von Westerwelle besuchten Länder Algerien und Tunesien. Es geht um alle Staaten dieser Weltgegend. Die Bevölkerung hat einige der einst so mächtigen Autokraten gestürzt, was nun kurz-, mittel- und langfristig aber kommt, ist unklar. Dass aus dem arabischen Frühling schnell ein Herbst oder gar ein Winter werden könnte, ist zwar einerseits ein Fall für den Phrasendrescher, beschreibt aber auf der anderen Seite deutlich die Risiken für diese Staaten, die nur durch das Mittelmeer von Europa getrennt sind.
Ein russischer Flugzeugträger hat nun vor Syrien Anker geworfen. Ein klares Zeichen an die Nato, dass dort ein militärisches Eingreifen trotz des täglichen Niedermetzelns von syrischen Aufständischen nicht möglich ist. Der Westen muss zu einer klaren Politik zurückfinden. Westerwelles Besuch ist ein erster Schritt dahin.
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