Schwäbische Zeitung: Raus, aber nicht sofort - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Sich selbst ins Knie zu schießen, darin sind US-Soldaten im Auslandseinsatz ohne Zweifel geübt. Folterbilder aus dem Irak, Leichenschändungen aus Afghanistan - und nun die Koranverbrennungen. Mit allergrößter Nachsicht könnte man im aktuellen Fall von einer unabsichtlichen Dummheit ausgehen, im Ergebnis macht dies jedoch keinen Unterschied. Das Vorgehen der Amerikaner bringt alle Isaf-Truppen zusätzlich in Gefahr, da die fanatischen Moslems in Afghanistan nicht zwischen gutmeinenden und böswilligen ausländischen Soldaten unterscheiden. Deshalb mag es zwar wie Feigheit vor dem Feinde wirken, wenn die Bundeswehr das Lager Talokan vorzeitig räumt. Doch es wäre unsinnig gewesen, für sinnlose Scharmützel Menschenleben zu riskieren. Der Versuch, die Afghanen in zehn Jahren zu Freunden des Westens zu machen, ist offenbar gescheitert. Ganz zu schweigen von einer Demokratisierung der Gesellschaft nach westlichem Vorbild.
Die Taliban hinter ihren langen Bärten werden frohlocken über die Unfähigkeit der Amerikaner. Einen besseren Vorwand, wieder einmal zum Kampf gegen die "Ungläubigen" zu blasen, können sie sich kaum wünschen. Aber auch hierzulande ist man inzwischen schnell dabei, die afghanische Bevölkerung mit dem aufgebrachten Mob gleichzusetzen, der deutsche Soldaten mit Steinen bewirft. Offenbar haben die Menschen hüben wie drüben die Geduld verloren. Hier wegen des Gefühls, als Dank für viel Hilfe noch mehr Ablehnung zu erfahren - und dabei wenig bewirkt zu haben.
Hasenfüßig ist es deshalb nicht, den Abzug aus Afghanistan voranzutreiben. Es ist vielmehr notwendig, sich einzugestehen, dass man keinem Volk eine freiheitliche Gesinnung aufzwingen kann - schon gar nicht mit militärischen Mitteln. Übereilt den Hindukusch zu verlassen, wäre jetzt allerdings töricht. Denn jedes noch so kleine Machtvakuum werden die Taliban mit Vergnügen besetzen. Diesem Trauerspiel müssen die Deutschen noch Jahre zuschauen, daran führt kein Weg vorbei.
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