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Schwäbische Zeitung: Gauck lebt Normalität - Leitartikel

Leutkirch (ots)

Manchmal wirkt es, als habe Joachim Gauck schon lange bevor er Bundespräsident wurde, jeden Schritt und jedes Wort ganz genau geplant. Einfach mal so, für den Fall, dass er, nach der ersten gegen Christian Wulff verlorenen Wahl, doch noch ins oberste Staatsamt kommen würde. Es ist ein Segen, jemanden an der Spitze des Staates zu haben, der die wichtigen Dinge an den richtigen Orten in den besten Momenten sagt.

Gaucks Staatsbesuch in Israel läutet eine neue Art des Umgangs zwischen der Bundesrepublik und dem jüdischen Staat ein. In Jerusalem findet er, wie kein deutscher Staatsmann vor ihm, die richtige Balance der Worte: Er erklärt die Verbundenheit Deutschlands mit diesem Land und er erlaubt sich Kritik, ja, er fordert Gerechtigkeit für die Palästinenser. Und siehe da, die meisten Israelis widersprechen ihm nicht. Auch Joschka Fischer hat schon in seiner Zeit als Außenminister darauf bestanden, dass eine Freundschaft auch die Notwendigkeit zur Kritik beinhalten muss, dass der floskelhafte Austausch von Freundlichkeiten unehrlich wäre.

Erst Gauck aber macht so richtig vor, wie das geht. Dass man ihm in Israel zuhört, hat natürlich auch mit seiner Geschichte zu tun: Er ist ein Ostdeutscher, der sich mit der Obrigkeit wo es nötig war, angelegt hat. Er ist ein Mann, der nicht müde wird, die Freiheit zu preisen in einem Land, das im Faschismus und im ostdeutschen Kommunismus lange Jahre Unfreiheit erlebt hat. Niemand muss Gauck erklären, dass es ohne die deutsche Geschichte den Staat Israel so nicht gäbe, ja, dass dem Nahostkonflikt auch die deutsche Schuld zugrunde liegt. Nicht zuletzt respektiert man in Jerusalem den Pastoren und den Christen Gauck, für den Israel auch ein Ort der religiösen Sehnsucht ist.

Dieser Präsident, der bisher fast alles richtig gemacht hat, wird in die Geschichtsbücher eingehen. Weil er, ohne die Geschichte zu verleugnen, fast 70 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Herrschaft, Normalität vorlebt.

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