Schwäbische Zeitung: In der Krise leidet die Demokratie - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Die schwarz-gelbe Koalition lässt kein gutes Haar an Sigmar Gabriel. Nicht mehr ernst zu nehmen sei der SPD-Vorsitzende. Über seinen Vorstoß für eine gemeinschaftliche Euro-Schuldenhaftung lässt sich zwar in der Tat streiten. Gabriels Feststellung, dass über diese Frage auch das Volk streiten und am Ende entscheiden sollte, ist aber durchaus ernst zu nehmen.
Die Sorge, dass in der Euro-Krise die Demokratie zu kurz kommt, ist berechtigt. Vom Volk geht - entgegen der Vorgabe unserer Verfassung - immer weniger Gewalt aus. Zwar funktionieren noch die Kontrollmechanismen: Das Bundesverfassungsgericht wird über die Rechtmäßigkeit des Euro-Rettungsschirms entscheiden. Längst hat sich aber der Eindruck verfestigt, dass eine Gruppe von Regierenden und Technokraten in Europa wichtige Entscheidungen trifft, die von den Volksvertretern nur noch durchgewinkt werden. Mario Montis Forderung, dass Regierungen Parlamente erziehen und sie ihre Handlungsfähigkeit gegenüber diesen bewahren sollen, zeigt letztlich nur, wie sehr das Demokratieverständnis unter der Krise schon gelitten hat.
Dabei kann man den italienischen Ministerpräsidenten schon verstehen: Um kurzfristig Schaden abzuwenden, sollten Regierungschefs und Spitzenbeamte schnell tätig werden können. Doch nun geht es um grundlegende Fragen: Die EU-Spitzen wissen, dass sie eine gemeinsame Finanz- und Steuerpolitik und gemeinsame Regeln für die Haushaltskontrolle brauchen, um den Euro zu retten. Auf der Basis des bestehenden Grundgesetzes ist dies aber nur begrenzt möglich.
Europa muss auf neue Beine gestellt werden. Und wenn der Rahmen für ein neues brauchbares Konzept abgesteckt ist, wäre zu begrüßen, wenn eine Grundgesetzänderung dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden würde. Zuvor hätten die Politiker die Möglichkeit, ihre Argumente umfassend zu erklären. Wirklich handlungsfähig bleibt eine Regierung nämlich nur dann, wenn sie eine Mehrheit hinter sich weiß.
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