Schwäbische Zeitung: Wo kein Kläger, da kein Richter - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Der Fall Amazon empört. Zu recht. Menschen wurden unwürdig behandelt. Ausländische Arbeitskräfte wurden von paramilitärisch auftretenden Glatzköpfen mit dem Schriftzug "Hess" auf den Jacken bewacht und eingeschüchtert. Und dazu noch die Wirrnisse, mit denen sich auch deutsche Leiharbeiter herumschlagen müssen: Undurchsichtige Arbeitsverträge, weniger Lohn als versprochen, nicht korrekt ausgewiesene Sachleistungen oder Zuschüsse.
Ein Allheilmittel gegen derartige Missstände gibt es nicht. Auf der einen Seite fordern Gewerkschafter und einige Politiker einen Mindestlohn. Doch der würde derartig grenzwertige Verhältnisse kaum verhindern. Auf der anderen Seite werden die Endverbraucher beschuldigt, dass ihr geiziges Kaufverhalten, die ewige Jagd nach dem Schnäppchen, Schuld an Dumpinglöhnen oder gar, wie noch frisch im Gedächtnis, billigem Pferdefleisch in der Lasagne sei. Das mag bei Billigfleisch richtig sein. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zum Fall Amazon-Leiharbeit: Dort gibt es Menschen, die über die Missstände Bescheid wissen und die nicht schweigen, weil sie zu den Profiteuren des Ausbeutungssystems gehören: nämlich die Leiharbeiter selbst. Aber: Wo kein Kläger, da kein Richter. In den meisten Fällen trauen sich entweder die Arbeitskräfte nicht, weil sie negative Konsequenzen befürchten und von niemandem Hilfe oder Schutz zu erwarten haben. Oder sie können sich nicht wehren, weil sie ihre Rechte nicht ausreichend kennen. Hinzu kommen in vielen Fällen mangelnde Sprachkenntnisse.
Doch hier könnte mit beherztem Eingreifen Abhilfe geschaffen werden. Viele Leiharbeitsjobs werden - wie auch im Fall Amazon - über die Bundesagentur für Arbeit vermittelt. Wenn die Behörde schon Menschen in solche Jobs bringt, sollte sie den Arbeitnehmern auch durch gezielte Aufklärung und Rechtsbeistand die Mittel an die Hand geben, sich selbst zu wehren. Dazu gehört selbstverständlich auch Hilfe für die im Ausland angeworbenen Arbeitskräfte - und zwar in deren Landessprache.
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