Schwäbische Zeitung: Kosten und historische Ängste - Leitartikel
Ravensburg (ots)
Wirtschaftlich ein Riese, politisch ein Zwerg. Wenn es dem Gnom wegen internationalen Drucks zu ungemütlich wurde, dann zückte er das Scheckbuch und kaufte sich von Verantwortung frei. Unter dieser Devise hat die alte Bundesrepublik Deutschland vor der Wiedervereinigung Außenpolitik betrieben.
Heute greifen die alten Mechanismen nicht mehr und es herrscht im Allgemeinen Konsens darüber, dass etwa die Bundeswehr im Rahmen ihrer Bündnisverpflichtungen in vielen Teilen dieser Welt aktiv ist. Doch wichtigen Verbündeten reicht der militärische Aspekt seit längerem nicht mehr.
Im Zuge der Schuldenkrise wird der Ruf lauter, dass Deutschland endlich mehr politische Führung übernehmen möge. Berlin müsse deutlich sagen, wie es mit Europa weitergehen solle. Die vermeintlich feine Zurückhaltung der größten Volkswirtschaft Europas sei fehl am Platze. Die Grundthese einer Vielzahl von Staaten lautet: Nicht zu viel deutsches Vorangehen sei eine Gefahr für Europa, sondern zu wenig deutsche Führung berge ein enormes Risiko. Wenn solche Positionen etwa aus Polen kommen, einem Land das in der Geschichte besonders schwer unter den Deutschen zu leiden hatte, dann ist das bemerkenswert.
Doch auch US-Präsident Barack Obama wird in dieser Woche bei seinem Berlin-Besuch eine ähnliche Melodie intonieren. Gleich ob es um das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA oder um ein multinationales Eingreifen in den Syrien-Konflikt geht, eine deutlichere Ausrichtung der deutschen Politik ist ausdrücklich erwünscht. Ob es aber dazu kommt, ist mehr als fraglich. Denn eine solche Neuausrichtung würde das Verlassen einer Nische bedeuten, in der man es sich bequem gemacht hat.
Die kleine Schweiz kann sich so etwas auf Dauer leisten, von der Bundesrepublik wird mehr erwartet. Doch das ist mit historischen Ängsten belastet, kostet Geld und ist damit den Wählern schwer vermittelbar. Politisch angebracht wäre es dennoch.
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