Schwäbische Zeitung: Fiebriger Politikbetrieb - Leitartikel
Ravensburg (ots)
Das ist die Bitte um Entschleunigung: der Wunsch nach mehr Ruhe und Gelassenheit. Erst vor gut einer Woche hat Deutschland einen neuen Bundestag gewählt. Das Land hat noch keine neue Regierung. Aber das ist bei Weitem keine Katastrophe. Die alte Regierung ist noch im Amt und die Bundesrepublik steht nicht vor dem Kollaps. Es droht auch kein Chaos, weder im Parlament noch auf den Straßen. Derzeit pokern die Parteien vor ihren Sondierungen und dieses Spielchen wird weit über die Sondierungsphasen hinaus weitergehen. Das Verteilen der Karten und das Bluffen hat erst dann ein vorläufiges Ende, wenn nach echten Koalitionsverhandlungen eine Regierung steht. So etwas gehört zu den üblichen Mechanismen im Kampf um die Macht. Deshalb irrt Bundespräsident Joachim Gauck auch, wenn er zu diesem Zeitpunkt die Parteichefs der möglichen Koalitionspartner zu sich zitiert. Er suggeriert damit, dass er das Gefühl habe, irgendetwas laufe aus den Ruder. Mit Verlaub: Diese Treffen sind im Grunde überflüssig. Natürlich gehört es zur politischen Kultur, dass sich das Staatsoberhaupt ein persönliches Bild von denen macht, die in naher Zukunft die Geschicke Deutschlands bestimmen werden. Schließlich könnte es bei einem Scheitern der Verhandlungen dazu kommen, dass der Bundespräsident über Neuwahlen entscheiden müsste. Nur so weit sind wir noch lange nicht. Die übereilte Aktion Joachim Gaucks spiegelt den fiebrigen Berliner Politikbetrieb wider, der einmal mehr um sich selbst kreist. Natürlich ist in diesem Jahr die Regierungsbildung schwierig, dennoch sollte jetzt in Ruhe abgewartet werden, ob und wie sich die Parteien einander annähern können. Bereitschaft zur Verantwortung kann allen Akteuren unterstellt werden, sie spielen trotz ihrer Pokerpartie kein Vabanque. Union, SPD und Grüne versuchen, ihre Positionen abzusichern und in Verhandlungen herüberzuretten. Das ist legitim und richtig. Ein Zeitdruck besteht nicht.
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