Schwäbische Zeitung: Kommentar zu den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD: Die Genossen taktieren
Ravensburg (ots)
Es mag ja eine Stilfrage sein, ob man wirklich das Fell des Bären verteilen sollte, bevor dieser überhaupt erlegt ist. Und die Begehrlichkeiten der Sozialdemokraten vor den Koalitionsverhandlungen mit der Union muten auf den ersten Blick überzogen an. So soll es unbedingt das Finanzministerium sein, das in Zeiten der europäischen Schuldenkrise ein Schlüsselministerium darstellt. Dass der aktuelle Amtsinhaber über international großes Ansehen verfügt und damit ein Faktor für die Stabilisierung der wirtschafts- und finanzpolitischen Lage in Europa und auf der Welt darstellt, wird ausgeblendet. Diese Personalie ist deshalb noch lange nicht geklärt. Dafür liegt es aber auf der Hand, dass der Arbeitsminister von der SPD kommen wird. Die Genossen dürften den Mindestlohn in den kommenden Wochen durchsetzen und sich auf diese Weise von Basis wie Anhängern feiern lassen. Den vermeintlich sozialen Durchbruch kann sich dann der wahrscheinlich künftige Arbeitsminister Sigmar Gabriel ans Revers heften.
Dementis hin oder her - natürlich ist das Vorpreschen um die Ministersessel Taktik. Gabriel muss den Parteikonvent an diesem Wochenende von der gemeinsamen Zukunft mit den Christdemokraten überzeugen. Allen Ängsten vor Angela Merkel zum Trotz, ungeachtet des zweitschlechtesten Wahlergebnisses der SPD seit Bestehen der Bundesrepublik. Die Union hat schon längst via Horst Seehofer signalisiert, dass sie der SPD den Mindestlohn wider eigener Überzeugung schenkt, um eine halbwegs stabile Regierung hinzubekommen. Dazu wird Gabriel gebraucht und der wiederum muss unbeschädigt aus dem Konvent hervorgehen, um die SPD glaubwürdig gegenüber Merkel vertreten zu können.
Wenn diese Klippe umschifft ist, dann könnte es zu einer relativ raschen Regierungsbildung kommen. Der kleine Partner wird dann zwar immer wieder zwecks Profilierung bei dem einen oder anderen Punkt aufschreien, aber der Grundkonsens wird für die nächsten vier Jahre Große Koalition ausreichen.
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