Schwäbische Zeitung: Übereilter Abgang
Ravensburg (ots)
Wie laut muss Sisyphos fluchen, wie viel Wut muss er im Bauch haben, wenn er seinen Felsbrocken den steilen Abhang hinaufrollt, nur, damit ihm das vermaledeite Ding kurz vor dem Ziel entgleitet, um zurück ins Tal zu rollen - wo der arme Sisyphos ihn wieder aufnehmen und wieder und wieder hochrollen darf. Dass Götter furchtbar ungerecht und das Leben absurd sein kann, ist keine exklusive Erkenntnis der alten Griechen. Trotzdem schließt Albert Camus in seinem Essay "Der Mythos des Sisyphos" mit den zwei Sätzen: "Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." Erst indem der Mensch das Absurde erkennt und trotzdem weitermacht, kann er Freiheit finden. Selbstmord sei darum keine Lösung.
Was das alles mit Armin Veh und seinem Blitz-Rücktritt beim VfB Stuttgart zu tun hat? Nach dem unglücklichen 0:1 gegen Augsburg, das durch zwei strittige Entscheidungen des Schiedsrichters begünstigt wurde, offenbarte der Trainer, welch mühselige Sisyphosarbeit seine zweite Amtszeit in Stuttgart war. "Wir machen die eine Baustelle zu - und eine andere geht auf", sagte er. Noch am Sonntag warf er, offenbar ermüdet von den ständigen Rückschlägen, zur Überraschung aller die Brocken beim Tabellenletzten hin.
Sicher, es ist aller Ehren wert, dass er Verantwortung für die sportliche Talfahrt übernimmt und auf jede Abfindungszahlung verzichtet. Und doch hätte Veh mal besser Camus gelesen - und weitergemacht! Abgesehen davon, dass sein Rücktritt wie eine impulsive Kurzschlussreaktion daherkommt, ist er übereilt und auf jeden Fall verfrüht. Die Mannschaft spielt nicht so schlecht, wie es der Tabellenplatz vermuten lässt, die Probleme sind lösbar. Der VfB, der 2015 eigentlich Klubanteile an Mercedes und andere Großunternehmen verkaufen und sich so wieder gesundstoßen will, steht nun ohne Sportchef und Trainer da. Veh hätte mindestens bis zur Winterpause warten sollen. So wirkt sein Abgang auch wie eine Flucht.
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