Schwäbische Zeitung: Fürsorgliche Tortur - Leitartikel
Ravensburg (ots)
Er ist vielen Menschen das Gesicht des eiskalten Gier-Managers - also geschieht diesem Thomas Middelhoff Recht mit dem, was ihm geschieht. Und schließlich hat ja ein Richter die Überwachung des Inhaftierten angeordnet - also ist alles in bester Ordnung. Nein, nichts ist in Ordnung, und dem Untersuchungsgefangenen Thomas Middelhoff ist es nicht recht, sondern unbotmäßig schlecht ergangen.
Den Direktor der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, erinnert die viertelstündliche Schlafunterbrechung an die Methoden der Schergen in der DDR-Diktatur. Man mag einwenden: Dort hatte die Folter das Ziel, Menschen zu brechen. Hier, im Fall Middelhoff, hatte sie das Ziel, eine Selbsttötung des Häftlings zu verhindern. Bösartige Folter steht also gegen fürsorgliche Folter. So könnte man das sehen, nur: Kein noch so hehres Ziel rechtfertigt die Tortur. Da hilft auch kein Wegducken hinter Paragrafen.
Im Gegenteil: Falls diese Überwachungspraxis a) dem geltenden Recht entspricht und b) auch andernorts hinter Gefängnismauern angewandt wird, muss der Gesetzgeber möglichst schnell Abhilfe schaffen. Es mutet geradezu bizarr an, wenn ein Strafrichter aus dem juristischen Bauch heraus eine Suizidgefahr feststellt, während der Arzt, der den Häftling untersucht, diese ausschließt. Es mutet auch bizarr an, dass es im Jahr 2014 keine andere Überwachungsmöglichkeit geben soll, als einen Menschen viertelstündlich aufzuwecken beziehungsweise ihn permanent am Einschlafen zu hindern.
Ganz generell gilt noch etwas anderes: Wer in einem Gefängnis sitzt, hat für eine bestimmte Zeit seine äußere Freiheit eingebüßt. Jeder Versuch, ihm auch die innere Freiheit zu nehmen, geht zu weit. Bei tatsächlicher Suizidgefahr gebietet es die Fürsorgepflicht, einem Häftling Hilfe anzubieten. Die kann ein Psychotherapeut leisten, ein Seelsorger, kurz: ein Fachmann. Die in Essen angewandte Methode war aber eher geeignet, den Kandidaten in zusätzliche Verzweiflung zu stürzen.
Pressekontakt:
Schwäbische Zeitung
Redaktion
Telefon: 0751/2955 1500
redaktion@schwaebische-zeitung.de
Original-Content von: Schwäbische Zeitung, übermittelt durch news aktuell