Schwäbische Zeitung: Realismus in der Krise - Leitartikel zu Grünen-Parteitag
Ravensburg (ots)
So ganz haben sie es sich auch dieses Mal nicht verkneifen können. Die Forderung nach dem "Gender Star", dem albernen Sternchen, das zum Beispiel im Wort Bürger*innen eingefügt werden soll, um alle mitzunehmen, die weder weiblich noch männlich sind, ist ein gefundenes Fressen für Grünen-Gegner und könnte dem Veggie-Day locker den Rang ablaufen. Schade, denn das Sternchen sollte nicht die weit wichtigeren Botschaften des Parteitags in Halle verdecken: Die Grünen wollen regieren, ihre Konzepte zur Flüchtlings- und Sicherheitspolitik zeigen das deutlich.
Parteichef Cem Özdemir hat in den letzten Monaten Mut bewiesen, nach außen, wenn er sich in Heidenau oder Leipzig den Rechten entgegenstellt, nach innen, wenn er seine Partei auffordert, die Kurden zu bewaffnen im Kampf gegen den IS. Und er hat jetzt auf dem Parteitag als Muslim das gesagt, was sich manche Deutsche nicht in dieser Deutlichkeit trauen: Der Islam kann so oder so gelebt werden - und zu Deutschland passt nur ein weltoffener Islam, der das Grundgesetz anerkennt.
Özdemir klagt nach den Terroranschlägen auch die Saudis für ihre Unterstützung des IS an und verurteilt scharf deutsche Waffenlieferungen an sie. Er thematisiert auch offen die Ergebenheitsadressen an Ankara, die neue europäische Hinwendung zur Türkei, mit der das Land in der Flüchtlingskrise unterstützt werden, vor allem aber verhindert werden soll, dass noch mehr Flüchtlinge in den Westen kommen. Mit diesem Kurs gewinnt Özdemir an Format. Dass er mit den Grünen regieren will, daraus hat Özdemir nie einen Hehl gemacht, und dazu rief er auch auf dem Parteitag auf. Doch gerade die Flüchtlingsfrage könnte verhindern, dass die Grünen in Baden-Württemberg weiter an der Regierung bleiben. Denn die Angst wächst, und die Kernkompetenz in Sachen innerer Sicherheit wird stets der CDU zugeschrieben. Die Grünen haben wegen des Sondereffekts Fukushima vor fast fünf Jahren die Macht errungen. Sie müssen jetzt bangen, sie wegen des Sondereffekts Flüchtlinge wieder zu verlieren.
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